Mittwoch, 23. Dezember 2020

An Weihnachten

"Du hast leicht reden", sagte der Schachspieler, der die schwarzen Figuren bewegte, ohne den Blick vom Brett zu nehmen. "Du bist immerhin der Held in unserer Geschichte. Du und dein schlecht gelaunter Kumpel." "Ich sage ja nur, dass es ganz so einfach eben nicht ist", meinte der Schachspieler, der die weißen Figuren bewegte, und rückte mit seiner Dame vor. "Immerhin wurde nach meinem Tod meine Lebensgeschichte komplett geändert."

"Schon klar, die Sache mit der Limo", knurrte sein Gegenüber. "Aber dein Mythos ist wenigstens positiv und freundlich - lustige Rentiere, schicke rote Klamotten, Kinder freuen sich... Da juckt wirklich niemanden, dass man dir ursprünglich mal einen Heiligenschein angedichtet hat." Er schob zögerlich einen Bauern über das Schachbrett. "Du vergisst da etwas", antwortete sein weißbärtiger Gesprächspartner und lächelte, als der andere erstaunt den Kopf hob. "Du vergisst, wieviel Arbeit ich habe. Zwei volle Nächte pro Jahr bin ich unterwegs, in verpesteter Luft, trotz Zentralheizungen und sogar jetzt, wenn die da unten sich gegenseitig das Lebenslicht aushusten. Das ist doppelt soviel Arbeit wie früher, als der Juniorchef noch eine Tour übernommen hat, wenn er mal wieder seine kindliche Phase hatte."

"Du Armer", grunzte sein Gegner ironisch. "Ich wurde über die Jahrhunderte degradiert - früher waren meine Leute in den Augen der Menschen sowas wie dein Boss. Heute taugen wir allenfalls als Kinderschreck, wenn die lieben Kleinen nicht parieren wollen. Apropos..." Er parierte mit einem Läufer den jüngsten Zug seines Gegenübers, was diesen zu einem Seufzen veranlasste. "Einer muss den Job nun mal machen", sagte der Bärtige, schob eher achtlos einen Turm nach vorne und erhob sich. "Das ist mein Stichwort - ich muss los. Und nun lach mal wieder, Krampi. Es ist Weihnachten." Während er durch den Schnee zu seinem Schlitten stapfte, machte der andere seinen Zug und murmelte: "Arschloch." Dann rief er ihm hinterher: "Übrigens, Santa - schachmatt!"