Donnerstag, 14. Januar 2021

Beim Service II

"Das ist alles kein Problem", sagt mein neuer Freund Oleg. Das beruhigt mich, denn Oleg arbeitet bei einem großen Mobil- und Netzanbieter, kennt sich mit Problemen also bestens aus. Es war ein wenig mühselig, ihn zu erreichen, um mich beruhigen zu lassen: Zwar habe ich direkt nach Erhalt der entsprechenden SMS die darin enthaltene Servicenummer gewählt, der akustische Fragebogen von Olegs Arbeitgeber funktioniert jedoch fast so schlecht wie mein Festnetztelefon seit drei Tagen. Das funktioniert übrigens überhaupt nicht.

Unterschiedliche Automatenstimmen stellten mir verschiedene Fragen zu meiner Festnetznummer, dem Mädchennamen meiner Mutter, meiner Schuhgröße und dem Grad meiner Kurzsichtigkeit. Mein polizeiliches Führungszeugnis habe ich der Einfachheit halber komplett buchstabiert, und eventuell habe ich an einer Stelle respektlos gerülpst, worauf eine Verwandte von Siri und Alexa mit dem Hinweis reagierte, sie habe mich nicht verstanden. Nach weiteren handgestoppten achtundzwanzigeinhalb Minuten schließlich meldet sich Oleg mit leichtem osteuropäischem Akzent und einer sehr freundlichen Stimme.

Gemeinsam stellen wir die Provider-Box in meinem Arbeitszimmer zum achten Mal auf ihre Werkseinstellungen zurück, in der stillen, aber unbegründeten Hoffnung, diesmal ein anderes, ein besseres Ergebnis zu erzielen. Streng genommen erledige ich diese Aufgabe, denn Oleg hält sich ja - wie er mich gut gelaunt wissen lässt - ebenfalls im Homeoffice auf. Das Bellen seiner 14 Kampfhunde und das leise Blubbern der Bong im Hintergrund hatten mich dies bereits ahnen lassen. Ich tue so, als folge ich den Anweisungen des russischstämmigen Experten, tatsächlich beherrsche ich den Reset eines Routers aber mittlerweile mit geschlossenen Augen, nachts bei Regen und am Ende der Welt.

Aller Routine auf beiden Seiten meines Mobiltelefons zum Trotz ist auch dieser Neustart so sinn- und erfolglos wie die jene, die uns einschlägige RTL2-Doku-Soaps bisweilen zeigen. Oleg bleibt entspannt - nun kenne ich den Grund - und teilt mir fröhlich mit, dass er nicht nur den baldigen Versand einer neuen Box in Auftrag geben werde, sondern sicher sei, dass der eigens hinterlegte Hinweis "Kunde arbeitet im Homeoffice" dafür sorge, dass dieser Auftrag so schnell wie möglich erledigt werde. "So schnell wie möglich" bedeutet in Support-Kreisen meiner Erfahrung nach "mindestens drei Tage". Aber in einer kleinen beschaulichen Callcenter-Außenstelle in Bitterfeld ticken die Uhren vermutlich ohnehin ein wenig langsamer. Alles kein Problem.

Update: Eben (!) rief einer von Olegs Kollegen an. Auf meinem Festnetztelefon. Ich war tatsächlich kurz irritiert. Jedenfalls bin ich vollends beeindruckt, denn aus den erwarteten drei Tagen wurden ruckzuck drei Stunden. Gibt hoffentlich ein Extra-Steak für Olegs Hunde.

Sonntag, 10. Januar 2021

In der Nacht

Eigentlich mochte er die Bathöhle. Er hatte sie selbst eingerichtet: das Saurierskelett, die Technik, die heimelig-düstere Atmosphäre. Hierhin konnte er sich zurückziehen und neue Kraft tanken. Aber ab und zu, wenn ihm die Decke auf den Kopf fiel oder jemand ein Kapitalverbrechen begangen hatte, setzte er sich ins Batmobil und brauste durch die Nacht nach Gotham City. Verzwickte Fälle lösen, Bösewichte verprügeln - dort gab es eigentlich immer etwas zu tun.

In der letzten Zeit allerdings, nun schon seit beinahe einem Jahr, saß er fast nur noch zu Hause und dachte nach. Oder er stand auf einem von Gothams Wolkenkratzern und dachte nach. Selbst tagsüber, wenn er den lebensfrohen Milliardär spielte, dachte er immer öfter nach. Zwar galt er ohnehin als das grüblerische Mitglied der Justice League, aber selten waren seine Gedanken so dunkel gewesen wie seit jenem Tag, als sein schlimmster Feind aufgetaucht war. Sicher, der Joker war ein psychopathischer Massenmörder. Aber der neue Gegner nutzte die Schwäche der Menschen aus, und das machte ihn unbesiegbar. Fast täglich sorgte er für neue Schreckensnachrichten. Und er war zäh, dafür sorgten die verachtenswerten Gestalten da unten, die nicht an ihn glaubten und ihm dadurch seine Macht verliehen.

"Scheiß-Virus", knurrte Batman, blickte in der Dunkelheit auf die Demonstranten und dachte schon wieder nach. Über die Menschen, die starben. Und an die Menschen, die er viel zu lange nicht gesehen hatte. Das Batsignal erleuchtete den nächtlichen Himmel, als er schweigend nach Hause fuhr.