Sonntag, 26. April 2015

Kino-Kritik: "Avengers: Age Of Ultron"

Es ist und bleibt ein einmaliges Phänomen in der Welt des Kinos: Das "Marvel Cinematic Universe" (MCU) startete als durchaus gewagtes Experiment und ist längst eine Geld-Druckmaschine. Daran dürfte auch der elfte Film, der in diesem ersten geschlossenen und immer komplexer werdenden Universum spielt, nichts ändern - vermutlich eher im Gegenteil. Denn die Fortsetzung von "Marvel's The Avengers" aus dem Jahr 2012 legt im Direktvergleich zum Vorgänger - dem dritterfolgreichsten Film aller Zeiten - in jeder Beziehung noch mal eine Schippe drauf. Es geht immer noch ein bisschen lauter, noch etwas bunter und erstaunlicherweise sogar noch besser.

Nachdem die zusammengewürfelte Heldentruppe eine Invasion durch Außerirdische verhindert und einige aufreibende Abenteuer als Solisten bewältigt hat, sind die Avengers eine etablierte Streitmacht gegen das Verbrechen in der Welt. Gemeinsam sind sie stark: Schon die beeindruckende Anfangssequenz zeigt, wie das Team zusammengewachsen ist, als Captain America (Chris Evans), Iron Man (Robert Downey jr.) und ihre Kollegen mit den Überresten der Terrororganisation H.Y.D.R.A. aufräumen. Dann jedoch hat Eisenmann, Milliardär und Genie Tony Stark eine verhängnisvolle Idee: Wie wäre es, wenn der Schutz der Menschen in die Hände eines Automatismus gelegt würde? Dr. Bruce Banner (Mark Ruffalo) hat Zweifel an Moral und Nutzen dieses Projekts. Und als es aus dem Ruder läuft, bekommt der gute Doktor mehr als einmal Gelegenheit, sich grün zu ärgern...

Fans der Comic-Vorlage und ihrer Verfilmungen bekommen, was sie erwarten: Ihre Superhelden kämpfen vereint gegen eine Übermacht, wobei jeder seinen grandiosen Auftritt hat. Das Finale ist eine epische Schlacht, in der die zwischenzeitlich zerstrittenen und von persönlichen Problemen gebeutelten Rächer beweisen müssen, wozu sie in der Lage sind, wenn sie zusammenhalten. Klingt bekannt? Nun ja, wenn man ehrlich ist, ist die Geschichte nicht gerade Lichtjahre von der des hochgelobten ersten Avengers-Abenteuers entfernt. Und doch funktioniert der Film, findet Regisseur Joss Whedon einmal mehr die richtige Balance zwischen krachiger Action, einer Portion Pathos und dem nötigen Humor. Dazu gibt es ungezählte Anspielungen auf die Vorgeschichte.

Zudem bringen neue Charaktere frischen Wind ins Geschehen, und der große Mythos im Hintergrund wird selbstverständlich auch noch etwas weitergedreht. Der Gegner der zänkischen Truppe ist diesmal die künstliche Intelligenz Ultron (im Original gesprochen von James Spader), ein so aggressiver wie unberechenbarer Despot mit vermeintlich ehrenwerten Zielen, der in Gestalt eines Roboters auftritt. Fast wie im Leben: Wer das Internet beherrscht, hat praktisch schon gewonnen - und Ultron ist buchstäblich überall. Da müssen die guten Jungs und Mädels auf der Gegenseite alles in die Waagschale werfen, was sie haben. Der Konflikt gipfelt ein einem Effektefeuerwerk, dass seinesgleichen sucht und selbst altgedienten Anhängern von Hollywood-Action den Kiefer nach unten klappen lässt.

Der Vollständigkeit halber (und um nicht nur die Nerds anzusprechen) sei erwähnt, dass die Schauspieler alle wissen, was sie tun. Längst ist das MCU bevölkert von preisgekrönten Mimen aller Klassen, denen klar ist, dass großes Kino manchmal genau das sein muss: verdammt groß.

Besser geht Unterhaltung eigentlich nicht. Dafür gibt’s völlig verdiente zehn von zehn abgerissenen Robot-Köpfen.

Mehr zum MCU gibt es hier und hier.

Montag, 20. April 2015

Herzensangelegenheiten

Neulich habe ich erfahren, dass es den Oberstadtflohmarkt noch gibt. Aber er sei mittlerweile sehr überschaubar und lohne kaum einen Besuch, sagte man mir. Schade. Früher war ja nicht nur manches besser, sondern auch einiges anders. Zum Beispiel war der Flohmarkt zwischen Heumarkt und dem unteren Ende des Steinwegs das "social event of the season", wie es in Kevin Smiths natürlich sehr empfehlenswertem Film "Clerks" über etwas ganz anderes heißt.

Seinerzeit ging es nicht nur um kaufen und verkaufen, sondern auch um sehen und gesehen werden. Zwischen Schatzkisten voller alter Bücher und Tapeziertischen mit lange gesuchtem Vinyl spielte einer Geige, ein anderer jonglierte, und man konnte sicher sein, jemanden zu treffen, mit dem man mindestens diesen ersten Samstag im Monat planen konnte. Einmal stand auch Thommes dort, spielte nicht Geige und jonglierte auch nicht, hatte aber einen großen Karton mit Band-Shirts dabei, dessen Inhalt er zu verkaufen suchte.


Thommes legte seinerzeit schon auf und wurde als nebenberuflicher DJ von Plattenfirmen gerne mal ein wenig verhätschelt. Diese hatte damals nämlich noch Geld, das sie mit dem Verkauf physischer Tonträger verdienten, und sie investierten es unter anderem in Werbeartikel wie Promo-CDs oder besagte T-Shirts ihrer Künstler. Thommes musste nicht lange auf Kundschaft warten. Eine kleine Frau mittleren Alters bot an, ihm den kompletten Karton abzukaufen, sofern er ihr einen guten Preis mache. Sie erklärte ihm sogar, was sie mit den Shirts vorhatte.

"Mein Mann arbeitet auf dem Bau", berichtete sie. "Und da schwitzt er immer so. Ich hab aber keinen Bock, ständig seine T-Shirts zu waschen. Und deswegen kaufe ich ihm jetzt einen ganzen Karton voll, die schmeißen wir dann einfach in den Müll, wenn sie durchgeschwitzt sind." Thommes ist grundsätzlich ein recht entspannter Mensch, aber das war ihm offenbar zuviel an verstörender Information. Fast verzweifelt nestelte er ein Tour-Shirt aus dem Berg, das anlässlich einer Spoken-Word-Reise von Henry Rollins hergestellt worden war. "Aber... das dann nicht, oder?", fragte er irritiert. "Doch – alle", antwortete die resolute Bauarbeiter-Gattin, lächelte und warf das Shirt zurück auf den Haufen.

Sie wurden sich handelseinig, und die Dame trug ihre Beute triumphierend vorbei an dem Jongleur und dem Geiger, den Bücherkisten und Plattentischen. Und so kam es, dass ein halbes Jahr lang ein Arbeiter auf irgendeiner Baustelle in Marburg jeden Tag ein anderes Band-Shirt trug: Fear Factory und Jamiroquai und Bad Religion und Henry Rollins. Es war eben nicht nur einiges anders, sondern auch manches besser. Auch der Oberstadtflohmarkt.

(Mehr zu Mr. Rollins findet sích übrigens hier.)