Montag, 18. August 2014

Herzensangelegenheiten

"Wir müssen reden", sagt Sven Regener und hat offensichtlich bereits damit angefangen. "Finde ich nicht", sage ich und sehe nicht von meiner Zeitung auf. (Manchmal lese ich Zeitungen.) "Ich habe vor, meine Grenzen auszuloten", höre ich hinter dem bewusst lauten Rascheln der gedruckten Nachrichten, "denn Stillstand ist Rückschritt." Ich ärgere mich darüber, dass er einfach weiterspricht, noch mehr aber stört mich der gewohnt phrasenlastige Inhalt des Gesprochenen. Am meisten jedoch macht mich sauer, dass ich nun tatsächlich wissen will, was zur Hölle mein Mieter damit meint.

"Ziehst du aus?", frage ich daher, ohne jede Hoffnung auf eine positive Antwort. "Was? Nein. Keine Sorge." Sven Regener meint das ernst. Er meint fast alles ernst. "Aber ich will ein bisschen über den Tellerrand gucken. Auch musikalisch. Und mich interessiert, was du davon hältst." "...weil ich nicht fliehen kann", ergänze ich murmelnd. Und ärgere mich schon wieder. Lauter und etwas boshaft füge ich daher hinzu: "Aber deine Fans mögen, was du so machst. Sie wollen die immer gleichen Geschichten über Rotwein und Rosen und nassen Asphalt und den ganzen Quatsch." "Eben", hält er dagegen, gemessen an seiner hanseatischen Gelassenheit fast aufgeregt. "Deshalb mache ich ja jetzt etwas völlig anderes."

Ich erinnere mich daran, noch am Morgen nervige Trompetenklänge aus dem Heizungskeller gehört zu haben. So sehr anders kann das also kaum werden, was Sven Regener da ausbrütet. Ich lasse endgültig die Zeitung sinken und sehe, dass er eine Lederjacke trägt. Und eine Sonnenbrille. Offenbar genügt mein Blick, um ihn die unausgesprochene Frage wiederholen zu lassen: "Du fragst dich, was das soll..." "Nein", unterbreche ich ihn, "ich frage dich, was das soll." Er nimmt die Sonnenbrille ab und zwinkert Richtung Deckenbeleuchtung. "Ich hab einfach keinen Bock mehr darauf, für alle immer der intellektuelle Chansonnier und Schriftsteller zu sein. Ich will runter, zum Bodensatz der Populärmusik. Ich will rocken!" Ich überlege kurz, ob ich ihn darauf hinweise, dass es möglicherweise ein Gesetz dagegen gibt, die Worte "Chansonnier" und "Populärmusik" so kurz vor dem Verb "rocken" zu verwenden. Oder dass es dieses Gesetz zumindest geben sollte. Ich denke an Heino, an Jan Delay und daran, wie sich eine Stromgitarre in meinem Heizungskeller anhören könnte. Ich rechne im Kopf durch, welche Auswirkungen der Verlust der eher unregelmäßig gezahlten Miete eines Bremer Sängers und Autors auf meine monatliche Finanzplanung hätte. Dann fällt mir ein, dass ich gar keine Finanzplanung mache, schon gar nicht monatlich.

"Herzlichen Glückwunsch", sage ich. "Diesmal hast du es geschafft." Sven Regener wohnt jetzt nicht mehr in meinem Heizungskeller.

Neulich habe ich ihn in der Talkshow eines so genannten "dritten Programms" gesehen. Es ging um Ehrlichkeit. Er stellte sein neues Album "Element of Rock" vor, auf dem er und seine Band unter anderem "Rock you like a hurricane" und "We will rock you" spielen. Mit deutschen Texten. Ich schaltete den Fernseher aus und griff zur Zeitung. Alles richtig gemacht. Ganz ehrlich.


Teil eins der Sven-Regener-Trilogie gibt es hier. Teil zwei hier.
Und mehr zum Thema gibt's hier.