Samstag, 19. Juli 2014

Herzensangelegenheiten

Wenn ich an der Macht bin, kommen sie alle auf die Baumwollfelder, die feindseligen Frevler, die das Wort "Rock" missbrauchen. Versprochen. Es gibt nämlich genau zwei korrekte Definitionen dieses viel zu häufig und viel zu gern falsch verwendeten Begriffs.

Die eine beschreibt ein Kleidungsstück, das nicht nur von traditionsbewussten Schotten getragen wird. Die andere lässt sich am besten erläutern, indem man erklärt, was sie keinesfalls aussagt, unter keinen Umständen und noch nie. Der Begriff "Rock" steht für nichts, was Zeitgenossen wie Heinz Georg Kramm oder Jan Phillip Eißfeldt je gemacht haben.

"Denn es liegt wohl im Trend, dass jeder, der das Wort kennt, nicht mehr ganz genau weiß, was Rock eigentlich heißt", mahnten bereits die Sportfreunde Stiller. (Die dieses Jahr übrigens glücklicherweise erkannt haben, dass die Zahl 2014 in kein Reimschema passt.) Und da liegt der Hase im Pfeffer beziehungsweise in erwähntem Baumwollfeld. Wenn ein Volksmusikbarde wie Heino auf einmal in G'n'R-artigen T-Shirts rumläuft (die er vermutlich Leibchen nennt) und einen Totenkopfring trägt, wie er allenfalls Keith Richards oder Billy Gibbons zusteht, hat das mit Rock soviel zu tun wie das Album "Hammer & Michel". Monatelang hatte Jan Delay gehofft, sein Panik-Pate Udo habe ihm mehr mitgegeben als die Bestätigung, dass Hüte irgendwie doch gehen. Leider war dem nicht so. Zwar ließ der Beginner-Boss keine Gelegenheit aus, in irgendein Mikro die Namen klassischer Rockbands zu quäken. Letztlich klang der Grund seiner Bemühungen trotz Titeln wie "Scorpions-Ballade" oder gar "Wacken" aber bestenfalls, als habe seine übliche Funk-Kapelle den Bläsern mal 'nen freien Abend gegönnt. Oder wie der verzweifelte, aber halbherzige Versuch, das Konzept von Selig einfach zu wiederholen. (Und die waren bereits retro.) Heino, der übrigens teils die gleichen Lieder nachspielte, die kurz zuvor der ähnlich fürchterbare Gunter Gabriel aufgenommen hatte, tat indes, wie ihm geheißen. War er bislang "der erste Grüne", so gab er nun den "echten Rocker". Kein Talkshow-Sofa, kein Infotainment-Auswurf war vor ihm sicher.

Gekrönt wurde das Drama mit einem öffentlich ausgetragenen Schaukampf der beiden selbsternannten Rock-Giganten - ähnlich subtil wie die Sage, irgendwelche Originalinterpreten hätten Herrn Kramm (lässt sich herrrrrlich rrrrrollen) verklagt. Tatsächlich war den Ärzten oder Westernhagen natürlich herzlich schnuppe, wer da ein paar Zusatzeuros in die Kleingeldkasse schaufelt. Und Herrn Delay sowieso. Gemeinsam pinkelten sie also auf die Gräber der Götter, Brüder im spukenden Geiste und vereint durch ihr Wappentier, die Sonnenbrille. Und unter steter Bewässerung rotierten die wahren Rocker, deren Namen nicht in einem Atemzug mit ihren Grabschändern genannt werden sollen.

Wie gut, dass die Überlebenden von all dem nichts mitbekamen. In Übersee, auf der Insel und in Skandinavien kennt nämlich keine Sau den wahren Heino und den Mann, der nicht möchte, dass ihr seine Lieder singt. Und auch dort nicht, wo der Pfeffer wächst, wo Hase und Baumwollfeld sich gute Nacht sagen. Wortmissbrauch und Leichenschändung. Wartet's nur ab!