Donnerstag, 8. Januar 2009

Herzensangelegenheiten

Ich wollte immer Klavierspielen können. Die Gründe für diesen unerfüllten Wunsch sind vermutlich vielfältig. Meine erste Erinnerung an den "Mann am Klavier" hat mit dem kleinen, alten Mann zu tun, der das gleichnamige Lied zu seiner Hymne machte. Wenn Paulchen Kuhn spirituosengestärkt und (damals schon) zerknautscht fragte, wer ihm denn wohl noch ein Bier gebe, dann wurde aus dem Akteur im Hintergrund, dessen eigentliche Aufgabe es war, dem (damals schon) noch spirituosengestärkteren Spree-Sinatra Juhnke den Rücken freizuhalten, der Star.

Pianisten sind lässig, aber von zurückhaltender Eleganz. Kein Wunder: Noch entspannter lässt sich Musik nicht spielen. Selbst sitzende Gitarristen wie Tony Joe White können da nicht mithalten. Wer locker auf dem Hocker sitzt, die flinken Finger über die Tasten gleiten lässt, hat es nicht nötig, um Aufmerksamkeit zu buhlen. Das Beste am Klavierspielen aber ist der Umstand, dass man wie nirgendwo sonst seine persönlichen Vorlieben mit Hilfe von Zitaten einfließen lassen kann. Krimiautor James Patterson lässt seinen Ermittler Dr. Alex Cross für dessen Kinder ein Medley spielen, in dem unter anderem Public Enemy auftauchen. Und war es nicht Noel Gallagher, der vor einiger Zeit grunzte, zu den uncoolsten Mitgliedern einer Band gehöre neben dem Drummer und dem Sänger eben auch der Mann an den Tasten? Mehr Lob geht eindeutig nicht.

Wenn Olli, ein in kultureller und soziologischer Hinsicht weit entfernter Mitschüler, seinerzeit am zerschrammten Klavier im Musikraum saß, kam er zwar über den Flohwalzer selten hinaus. Aber es gelang ihm, mit einem schwer erträglichen Mix aus Richard-Clayderman- und Udo-Jürgens-Klassikern selbst hartgesottene Mädels dazu zu bewegen, ihn fasziniert (besser: hypnotisiert) anzustarren. Uns Nachwuchsrockern blieb nur der Neid.

Aha, noch ein Grund für meinen bislang geheimen Wunsch. Warum er unerfüllt blieb? Zum einen ist ein Klavier so ziemlich das unpraktischste Instrument überhaupt. Außer Elton John und Konsorten schafft es wohl kein Pianist, sein Handwerksgerät stets mit sich zu führen. Zum anderen: Elton John, genau. In der bunten Welt der Populärmusik entdeckt man als Unerfahrener zunächst mal gelangweilte Crooner wie ihn oder Billy Joel. Dann stellt man möglicherweise fest, dass es Kollegen gibt, die zumindest mit einem charakteristischen Spiel punkten können (Stevie Wonder, Bruce Hornsby). Der nächste Schritt führt hoffentlich zurück zu den Urvätern (Ray Charles, Fats Domino, Jerry Lee Lewis, Little Richard). Wer sich mit den Texten beschäftigt (bei Klaviermusik im Rock nicht unwichtig), stößt vielleicht über Marc Cohn oder Joshua Kadison auf Genies wie Joe Jackson oder den unerreichten Randy Newman. Noch ein Schlenker zum Jazz (Brubeck, Hancock, Jarrett) und in Richtung engagierter Liedermacherinnen (Carole King, Tori Amos), und schon sind wir beim einzig relevanten "alternativen" Pianisten. Ben Folds heißt er, und wer ihn noch nicht oder nur als Geheimtipp kennt, hört jetzt bitte sofort auf, dieses Blog zu lesen, und rennt in den nächsten Plattenladen.

Allerdings - das muss zwingend ergänzt werden - gibt es nichts, was weniger smart wäre, als seine Kindheit mit Klavierunterricht zu verbringen. Das wollte ich wirklich nie.