Freitag, 10. April 2009

Herzensangelegenheiten

Meine Stimme ist verschwunden. Das ist ziemlich schade, denn eigentlich mochte ich sie ganz gerne. Daher habe ich sie sehr häufig benutzt, privat und beruflich.

Ich habe damit meinen Standpunkt vertreten, meist recht leise, seltener laut, aber immer deutlich. Ich habe damit geflüstert und geschrien, Lob und Kritik verteilt, flammende Reden gehalten und lustige Gedichte rezitiert, kleine Lebensweisheiten verkündet und große Gefühle gestanden.

Und nun ist sie fort. Das Verschwinden meiner Stimme kündigte sich bereits vor einiger Zeit an, als sie ihren gewohnten Klang veränderte. Plötzlich hörte sie sich ein wenig so an wie die von Tom Waits. Anders als der Mann mit dem schiefen Hut habe ich meine Stimme allerdings niemals zum Singen benutzt - oder allenfalls unter Androhung massiver körperlicher Gewalt beziehungsweise einer noch schlechteren Note im Schulfach Musik.

Wer mich zum Gesang nötigte, bereute seine Entscheidung meist nach wenigen Sekunden. Mit meiner Stimme lassen sich aller Textsicherheit zum Trotz ganze Konzerthallen leeren. Das weiß ich, ohne es jemals ausprobiert zu haben. Mein Autoradio und meine Dusche könnten ein Lied davon singen, wenn sie singen könnten. Aber natürlich können sie nicht einmal sprechen. Genau wie ich.

Allerdings gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass meine Stimme bald wieder da ist. Obwohl ich sie seit meinem 18. Lebensjahr mehrmals jemandem gegeben habe, ist sie nämlich immer zurückgekehrt. Übrigens ohne Konsequenzen für mein Leben, welcher Art auch immer.

Wenn ich meine Stimme wiederhabe, werde ich mir überlegen, ob ich sie in Zukunft weniger schone. Ich könnte endlich mit dem Aktivrauchen anfangen oder mit dem Konsum von Spirituosen oder damit, mir morgens Rasierklingen unter die Cornflakes zu mischen. Dann steht einer Gesangskarriere nichts mehr im Wege, was in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs als zweites Standbein durchaus sinnvoll sein kann. (Meine Unwörter des Jahres: "Abschwung" und "Standbein".)

Einzige Bedingung: Meine Stimme kommt nicht allein, sondern bringt ein wenig Genie mit. Das braucht es nämlich auch, wie das Beispiel Tom Waits beweist. Dies ist jedoch eher unwahrscheinlich, daher bleibt's wohl beim Sprechen.

Aber schweigen - das sei hiermit zumindest schriftlich verkündet - werde ich so schnell nicht.