Donnerstag, 16. Oktober 2008

Herzensangelegenheiten

Crash Test Dummies. So wollten wir uns nennen. Der Name war gut, denn er ließ keine Rückschlüsse auf unser musikalisches Konzept zu. Wir hatten nämlich keins. Dann kam Christoph eines Tages in den Proberaum und berichtete von einer CD, die er auf dem Wühltisch vor dem Musikladen entdeckt hatte und offensichtlich von einer Band namens Crash Test Dummies aufgenommen worden war. (Die wiederum war damals noch weit von ihrem einzigen Hit entfernt.)

Also dachten wir uns einen neuen Namen aus und begangen jenen Fehler, der nicht nur der erste große in unserer Karriere sein sollte, sondern außerdem dafür sorgte, dass diese nur sehr kurz währte. Nie hatte eine junge, motivierte Band auf dem Weg nach oben ein weniger glückliches Händchen bei der Wahl ihres Namens bewiesen. Wir nannten uns "Bad Ettler".

Rainer "Easy" Ettler war damals der Herausgeber des Zillo, jenes Blättchens also, das mehrere Jahre lang so ziemlich die einzige Musikzeitschrift war, in der die Bands stattfanden, die wir flaumbärtigen Nachwuchs-Indierocker gerade für uns entdeckt hatten. Wir fanden Herrn Ettler ziemlich dämlich, machten uns über sein Porträtbild lustig, mit dem er stets sein Editorial schmückte. Daher versahen wir Easys verlebte Visage mit jenem Verbotsschild, das wir von Bad Religion kannten und liebten. Das bitterböse "Bad" nahmen wir gleich mit.

Um es kurz zu machen: Dieser selten bekloppte Name brachte uns in der Folge reichlich Spott und Unverständnis ein. Die harmloseren unter unseren ungezählten Kritikern waren jene, die vermuteten, Bad Ettler sei ein Luftkurort in der Eiffel. Und dabei hatte noch niemand je einen Ton von uns gehört. Die Glücklichen. Neulich habe ich unser erstes und einziges Demo aus der Schublade gekramt, das Cassettendeck meiner Stereo-Anlage von Spinnweben befreit und mir jene grauenerregende halbe Stunde angehört, mit der wir seinerzeit angetreten waren, die Musikwelt zu revolutionieren. Und die übrige Welt dazu.

Matti besaß ein Mikrofon, also war er unser Sänger. Klingt eigentlich ziemlich nach Punkrock. Leider sah unser Frontmann seine Berufung eher darin, mit seiner Mundharmonika auf den Spuren von John Mayall zu wandeln. Dies brachte ihm die Missgunst unserer beiden Gitarristen ein: Christoph und Dirk hörten gerne New Model Army und Slime. Bedauerlicherweise klang diese Vorliebe vergleichsweise selten in den häufig unverzerrten Gitarrenläufen durch, die sie mit grimmiger Miene aus ihren Instrumenten zupften. Alex wollte schon immer Bass spielen, also tat er das auch. Technisch war er erstaunlich gut, vor allem gemessen an dem Umstand, dass er sich den Viersaiter erst wenige Wochen vor unserer ersten Probe gekauft hatte. Das Schlechteste an ihm waren seine schwer erträglichen Protest-Texte. Das Beste an ihm war sein geradezu gigantischer Verstärker, der laut Aufschrift von einer einzigen Person problemlos transportiert werden konnte. Das Gerät war groß wie ein Einbauschrank und schwer wie eine Kühltruhe.

Zu dritt schleppten wir es einmal wöchentlich auf den Dachboden von Mattis Eltern. Dort stand auch meine Schießbude, ein mehrfach geflicktes No-Name-Kit mit gesplittertem Crash-Becken und quietschender Fußmaschine. Der Rest ist Geschichte. Schlimme Coverversionen. Zoff im Proberaum. Ein einziges Konzert (an Silvester, natürlich ebenfalls auf dem Dachboden). Der große Krach. Dann haben wir Abi gemacht und uns aus den Augen verloren. Nur mit Matti bin ich immer noch befreundet, aber er hat kein Mikro mehr, und mein Schlagzeug vergammelt auf dem Speicher.

Es lag am Bandnamen. Da bin ich ganz sicher.

Donnerstag, 3. Januar 2008

Herzensangelegenheiten

Das ist doch..? Nein, das ist nicht Pete Doherty, sondern Schauspieler Sam Riley, der in Anton Corbijns Joy Division-Biografie "Control" deren Sänger Ian Curtis verkörpert. Eigentlich ein geschickter Schachzug vom grimmigen Niederländer - passt also zu seinem Faible für Schwarz und Weiß. Denn alles, was nach Doherty aussieht, zieht die Blicke auf sich. Manchmal gar die von musikinteressierten Menschen, immer jedoch die von jenen, die beim "Stern"-Lesen im Wartezimmer ihres Zahnarztes alles überblättern, was mit Politik zu tun hat.

Der Immer-mal-wieder-Bettgenosse von Magermodel Kate Moss ist natürlich längst auch Nichteingeweihten ein Begriff. Erfahren sie allerdings, was dieser aschfahle, schweißglänzende Brite beruflich macht, reagieren sie häufig überrascht.

Tatsächlich: Irgendwo hinter der schief im Mundwinkel hängenden Fluppe und unter dem zerknautschten Hut scheinen sich die Resthirn-Rudimente von Proll-Peterle daran zu erinnern, was jener in seiner nicht allzu lange zurückliegenden Jugend in den CD-Wechsler drückte (sic!). Ein bisschen Clash, etwas Brit-Pop, das Ganze eher unbeholfen arrangiert - fertig ist die Musik, mit der zunächst die Libertines, später die Babyshambles ihre fanatischen Anhänger beglückten. So richtig spannend ist das leider nicht, dafür mit jenem Charme gesegnet, der auch Heimvideo-Fernsehsendungen zu eigen ist. Irgendwas ist immer, am schweren Unfall auf der Autobahn fahren wir ja ebenfalls mit weitaufgerissenen Augen vorbei. Objektiv betrachtet macht uns das zu moralisch fragwürdigen Zeugen des Verfalls. Denn immerhin sehen wir einem Mittzwanziger beim Sterben zu.

Dohertys weibliches Gegenstück heißt Amy Winehouse. Auch sie verfügt über optische Attribute von hohem Wiedererkennungswert (Marge-Simpson-Frisur, schlechte Tattoos), und wie der angebliche Gralshüter des britischen Rock ist ihr Talent allenfalls überschaubar. Nicht ohne Grund erwähnt jeder Kritiker, der die Stimme der sinistren Nachwuchsdiva lobt, direkt danach ihre Hautfarbe. Wenn sich ein weißes Mittelschicht-Hühnchen redlich müht, wie ihre schwarzen Vorbilder aus Papis Plattensammlung zu klingen, verschafft ihr das eine Art umgekehrten Exotenbonus. Oder um es mit Volker Pispers zu sagen: Wenn "besser als erwartet" ein Bewertungskriterium wird, melde ich mich bei der Tour de France an.

Alles in allem sollte den beiden verlebten Vertretern durchschnittlich interpretierter Rock- und Soul-Musik jedoch unser Mitleid sicher sein. Ian Curtis war Anfang 20, als er aus dem Leben schied.