Sonntag, 15. März 2015

Kino-Kritik: "Kingsman: The Secret Service"

Neun Minuten und sechs Sekunden dauert die Albumversion des Songs "Freebird", den die Südstaatenrocker Lynyrd Skynyrd vor 41 Jahren aufgenommen haben. Wer nicht versteht, was das mit "Kingsman: The Secret Service", dem neuen Film von Regisseur Matthew Vaughn ("X-Men: Erste Entscheidung"), zu tun hat, oder sich fragt, wo der Zusammenhang zwischen rockenden Rednecks und britischen Gentleman-Spionen ist… der hat was verpasst.

Denn eine Szene - die nicht zuletzt durch ihre explizite, aber comic-haft überzogene Gewaltdarstellung durchaus ein bisschen Filmgeschichte schreiben dürfte - wird mit dem zweiten Teil dieses Liedes unterlegt. Quasi ein schier endloses Gitarrensolo als Soundtrack zu einem verstörenden, aber auch verstörend unterhaltsamen Gemetzel, das auf den Punkt bringt, worum es Vaughn und Drehbuchautor Mark Millar ("Kick-Ass") im Kern geht.

Doch der Reihe nach: "Kingsman" erzählt die Geschichte einer fiktiven Spionage-Einrichtung gleichen Namens, die ähnlich aufgebaut ist wie die legendäre Tafelrunde. Es gibt einen Boss mit dem königlichen Codenamen "Arthur" (eher nachlässig verkörpert von Michael Caine), einen technischen Experten namens "Merlin" (Mark Strong, der mal nicht den Bösewicht geben muss) und Agenten mit ritterlichen Spitznamen wie "Galahad". Letzterer wird gespielt von Colin Firth, der erwartungsgemäß die Idealbesetzung für die Rolle des leicht versnobten Superagenten ist.

Wann immer einer der ihren im Kampf für das Gute sein Leben lassen musste, erwählen diese modernen Ritter einen Novizen zum Mitglied ihrer verschworenen Gemeinschaft. Doch der Weg zum Vollzeitspion ist steinig, das muss auch der junge "Eggsy" Unwin (Taron Egerton) erfahren, ein Junge aus den Londoner Slums, der in "Galahad" nicht ohne Grund einen Mentor gefunden hat. Zusätzliche Komplikationen entstehen durch das Auftauchen des so sinistren wie wahnsinnigen Milliardärs Valentine (Samuel L. Jackson) und seiner beinamputierten, aber tödlichen Assistentin Gazelle (Sofia Boutella).

Das klingt alles ziemlich durchgeknallt? Ist es auch. Noch dazu schrillbunt, bitterböse, satirisch und zu keiner Sekunde langweilig. Wir sind schnell mittendrin in dieser irren Story zwischen Retro-Fimmel, Bond-Parodie und modernem Actionfilm. Es wird oft laut, Zeit zum Luftholen oder gar subtile Zwischentöne bleibt selten. Und doch merkt das geübte Auge sehr schnell, dass "Kingsman" voller liebevoller Details ist. Es hagelt nicht nur Kugeln, sondern auch Referenzen auf alles, was das Genre hergibt. (An einer Stelle zitieren sich Millar und Vaughn sogar selbst: Im luxuriösen Unterschlupf des Erzschurken hängt das gleiche Bild wie im Büro des Mafiabosses in "Kick-Ass", seinerzeit gespielt von Mark Strong.) Auch die eingesetzte Musik sitzt wie ein maßgeschneiderter Anzug - die erwähnte "Freebird"-Szene ist nur ein Beispiel von vielen.

Waren es in "Kick-Ass" die Superhelden, sind es diesmal die Topagenten, die damit klar kommen müssen, dass auch im Film-Universum nicht immer alles nach Plan verläuft. Denn beide Filme entsprechen zwar durchaus ihrem jeweiligen Klischee, die Gefahr für die Helden wirkt jedoch ungleich realistischer. Da wird öfter mal sehr blutig gestorben, und das ist dann überdreht inszeniert, aber auch sehr endgültig. Dort wie hier bekommen die Protagonisten viele Schläge ab, aber anders als Batman oder Bond spucken sie hinterher eben ihre Zähne aus.

Diese klassische Mark-Millar-Handschrift scheint auch durch, wenn trotz aller Lust an der Zerstörung bisweilen recht deutliche Kritik an unserem Umgang mit Gewalt geübt wird. Nochmal die "Freebird"-Szene: Man freut sich, jubelt gar, aber hinterher folgt die Ernüchterung. Darf man sowas gut finden? Der Zuschauer fühlt sich ertappt und gönnt sich ein Grübeln. Aber nur kurz, denn die wilde Jagd lässt wie erwähnt kaum eine Chance zur Besinnung.

Also: Es gibt reichlich Action, viel Klamauk, jede Menge Meta-Späßchen für Nerds und gute Musik. Ein Außenseiter hat die Messlatte für Popcorn-Kino höher gelegt. Und das in einem Jahr, das mit vergleichbaren Blockbustern nicht geizen wird. Well done, Gentlemen. Und die Krawatte sitzt.

Donnerstag, 12. März 2015

Herzensangelegenheiten

Eigentlich ist das Frühjahr denkbar ungeeignet, um Abschied zu nehmen. Aber erstens hat das Universum einen allgemein bekannt kranken Humor. Und zweitens ist eine Jahreszeit für Abschiede so gut geeignet wie die andere - nämlich gar nicht.

Es gibt unterschiedliche Gründe, die uns zum Abschiednehmen zwingen, und die allermeisten von ihnen sind naturgemäß unerfreulich. Das gilt insbesondere dann, wenn Abschiede endgültig sind. Unter diesen Gründen nimmt einer eine Sonderstellung ein, übertrifft an kalter Härte selbst seine kleinen Brüder, den Streit und die Veränderung. Die Rede ist selbstverständlich vom Tod. Mir ist niemand persönlich bekannt, der ein allzu großer Anhänger oder gar Befürworter des Todes ist. Im Gegenteil: In unseren Breitengraden pflegen wir ihn im Allgemeinen mit Missachtung zu strafen - eine vergleichsweise harmlose Waffe, denn uns allen ist klar, dass der Tod ein unbesiegbarer Gegner ist. Noch dazu ein sehr gelassener, er kann nämlich warten. Er hat quasi reichlich Zeit, was kein Wunder ist, denn er nimmt sie von uns allen. Die Zeit, noch schnell zu erledigen, was wir viel zu lange vor uns hergeschoben haben. Die Zeit, endlich das Richtige zu tun, worauf wir ein Leben lang gewartet haben. Die Zeit, die wir mit schönen Dingen und netten Leuten verbringen sollten und doch auf ganz andere Art vergeuden.

In den Romanen von Terry Pratchett (der in diesen Tagen gestorben ist) wird der Tod als klassischer Sensenmann karikiert, allerdings oft genug gebeutelt von fachfremden Emotionen und den Problemen seines sicher stressigen Alltags. Und Schauspieler Leonard Nimoy (der kurz zuvor das Zeitliche segnete) sagte in seiner bekanntesten Rolle gern und häufig: "Lebe lang und in Frieden." Ein wohlmeinender Wunsch, vielleicht gar ein frommer, aber wie die meisten Wünsche dem Mann mit der Kapuze vermutlich nicht einmal ein schiefes Grinsen wert. Denn über die Dauer unseres Daseins entscheidet nur  er. Oder (um es endlich mal etwas realistischer auszudrücken): Wir haben kaum Einfluss darauf.

Manchem gelingt es zwar, sein Leben künstlich zu verlängern. Andere entscheiden sich traurigerweise, es zu verkürzen. Aber am Ende bleibt immer ein Abschied, für jene, die zurückbleiben, meist schmerzlicher als für den, der geht.

Wer inzwischen völlig zurecht fragt, was das alles mit Musik zu tun hat, der sei auf ein paar Zeilen zweier Liedtexte aufmerksam gemacht. "No one wins, but somehow they still play", heißt es in "Future Days" von Pearl Jam. "All the missing crooked hearts, they may die, but in us they live on." Deutlich pessimistischer sehen das Fury In The Slaughterhouse: "Today you're their best friend, but believe me tomorrow they don't even know your name." Ganz so ohne sind Todes kleine Brüder nämlich doch nicht.

Wer nun verständlicherweise nicht nur nach dem Zusammenhang zum Thema Musik, sondern gar nach einer Moral fragt, dem sei ins Poesiealbum gekritzelt: Die Zeit läuft - macht was draus. Am besten übrigens wirklich mit schönen Dingen und netten Leuten. Es ist Frühjahr, Freunde. Aber nicht mehr lange.