Montag, 15. Februar 2021

In Verkleidung

Helau. Alaaf. Weil ihr meine Weihnachtsgeschichten so lustig fandet, gibt's jetzt meine Faschingsgeschichte: Als ich die Grundschule meiner hessischen Kleinstadt besuchte, waren meine Altersgenossen und ich grundsätzlich modisch durchaus diskutabel unterwegs. Die Hosen hatten noch Schlag, die Jacken waren schon sehr gepolstert und vor allem: Cord. Mal ernsthaft, wer hat sich das ausgedacht? (Mein Vater besaß seinerzeit einen Anzug aus braunem Cord, bewahrte diesen aber glücklicherweise ausschließlich im Schrank auf.) Mir gelang es trotzdem, sämtliche stilistischen Verirrungen zu unterbieten. Und zwar an einem einzigen Tag. Einem Rosenmontag.

Ich war in der ersten Klasse zwar der beste, aber ganz sicher nicht der coolste Schüler (damals kannten wir nicht mal dieses Adjektiv), sondern gehörte eher zu den Außenseitern. Um das zu unterstreichen, wollte es das Schicksal, dass ich nur wie Niki Lauda zugehört hatte, als das Datum der schulinternen Faschingsfeier bekannt gegeben wurde. (Mit halbem Ohr - das war damals der Humor.) Also war ich überzeugt davon, meine Bildungsanstalt werde gleich am Montag enthemmt feiern, und ließ aus diesem Anlass Cordhose mit Schlag und Superplusterparka zu Hause. Stattdessen gab ich todesverachtend den Rächer der Enterbten, den Beschützer von Witwen und Waisen, den Herrn von Sherwood Forest: Robin Hood. Und stellt euch das bitte nicht so vor, wie zwei Jahrzehnte später Kevin Costner oder noch später Russel Crowe, sondern ganz klassisch wie Errol Flynn. Oder dieser Fuchs bei Disney. Wir reden also über grüne Strumpfhosen, einen ebensolchen Filzhut, einen aufgemalten (ach?) Spitzbart und natürlich Schwert, Pfeile und Bogen.

Mein Schulweg betrug etwa 500 Meter und tatsächlich stimmte es mich unterwegs ein wenig nachdenklich, dass ich exakt null Cowboys, amerikanische Ureinwohner, Astronauten oder Ritter sah. Als ich am Schulhof ankam und um die Ecke bog, bot sich mir ein grauenerregender Anblick. Und allen anderen ein recht überraschender - nämlich mich. Ich blickte in gut 100 weit aufgerissene Augenpaare, die meisten minderjährig, aber auch die Lehrerschaft, das Sekretariat und die Hausmeister waren erstaunt. Ich war der einzige Mensch auf dem gesamten Schulgelände, der ein Kostüm trug. Und natürlich blieb keine Zeit, schnell nach Hause zu fliehen und die Kleidung zu wechseln. Stattdessen musste Robin von Locksley beweisen, wie tapfer er wirklich war. Sechs Stunden plus zwei große Pausen lang war ich der Blickfang und das Hauptgesprächsthema sämtlicher vier Jahrgangsstufen. Und nicht wenige entdeckten der fünften Jahreszeit gemäß ihr Faible für humoreske Äußerungen. "Aber spieß dich nicht mit deinem Schwert auf", riet etwa meine Klassenlehrerin, nachdem sie mich aufgefordert hatte, an der Tafel vorzurechnen. Und ein Mitschüler murmelte beim Austeilen der Arbeitsblätter die Namen der bereits bedachten Schülerinnen und Schüler - bis er vor meinem Tisch lautstark rief: "Robin!" Alle hatten ihren Spaß. Und darum geht es ja bei Fasching. Außer mir. Aber darum geht es ja bei Fasching.

Denn obwohl ich am Folgetag als still in der Ecke lungernder Pirat erschien, wurden mir an jenem folgenschweren Rosenmontag drei Dinge klar: Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt. Ich hasse Fasching. Und es kommt im Leben immer auf den richtigen Zeitpunkt an.