Freitag, 30. Dezember 2022

Beim Servicecenter

Erster Versuch.

"Geldinstitut, Sie sprechen mit Hartwig Hasenhirn, was kann ich für Sie tun?"

"Schönen guten Tag, mein Name ist Engelhardt. Ich habe die Nummer zurückgerufen, unter der ich angerufen wurde. Ich vermute, Herr Ratz möchte mich sprechen."

"Sie sind aber jetzt im Servicecenter gelandet."

"Prima, dann stellen Sie mich doch bitte zu Herrn Ratz durch."

"Das kann ich nicht."

"Aha. Können Sie ihm dann bitte mitteilen, dass ich zurückgerufen habe und jetzt erreichbar bin?"

"Nein."

"Aber Sie sitzen doch im Servicecenter. Wäre ja ein schöner Service. Was kann ich denn nun tun, um Ihren Kollegen zu sprechen?"

"Wie war der Name?"

"Engelhardt."

"Nein, der meines Kollegen."

"Ratz. R, A, T, Z."

"R, A, D, Z..."

"Fast. T, nicht D."

"Ach, hier steht's. Gangolf Ratz, Kundenberater."

"Ja. Dass er existiert, ist mir bewusst. Und wie erreiche ich ihn?"

"Da müssen Sie die Durchwahl anrufen. Die endet hinten mit 0815."

"Wo soll sie auch sonst enden? Ich habe genau diese Nummer angerufen, ich sehe sie in meinem Handy-Display."

"Aber Sie sind jetzt beim Servicecenter."

"In der Tat. Können Sie mir denn nun irgendwie weiterhelfen?"

"Nein. Tut mir leid. Rufen Sie doch Herrn Ratz direkt an."

"Ich fasse mal zusammen: Ihr Job ist es, ans Telefon zu gehen und den Anrufern mitzuteilen, dass Sie ihnen nicht weiterhelfen können. Habe ich das richtig verstanden? Und können Sie sich vorstellen, dass mich das als Kunde nicht zufriedenstellt?"

"Ja."

"Entspannten Tag noch und guten Rutsch."

Zweiter Versuch.

"Geldinstitut, mein Name ist Konrad Kompetenz, was kann ich für Sie tun?"

"Hallo, Markus Engelhardt. Ich habe die Nummer meines Kundenberaters zurückgerufen."

"Hallo, Herr Engelhardt. Ich schaue mal... Herr Ratz ist gerade im Kundengespräch. Ich richte ihm aus, dass Sie angerufen haben, dann meldet er sich so schnell wie möglich bei Ihnen. Kann ich Ihnen sonst noch weiterhelfen?"

"Nein, vielen Dank, auch für den guten und schnellen Service. Schönes Wochenende und guten Rutsch."

"Das wünsche ich Ihnen auch, tschüß."

Dienstag, 6. Dezember 2022

50 Wahrheiten

Aus bald gegebenem Anlass: 50 Wahrheiten über mich.

1. Einst war ich ein Knabe mit hellblondem Haar.

2. Ich trinke keinen Alkohol und rauche nicht. Und habe beides auch nie getan.

3. Mein erster professioneller Zeitungsartikel war selbstverständlich eine Konzertkritik.

4. Ich bin fast 26280000 Minuten alt.

5. Ich war zunächst ein sehr guter, später ein durchschnittlicher Schüler.

6. Ich habe Green Day vor ihrem Durchbruch live gesehen und erzähle das gern, meist ungefragt.

7. Ich habe in London ein gefälschtes Jethro-Tull-T-Shirt gekauft.

8. Ich war noch niemals in New York.

9. Ich hatte ein "Bimbo"-Abo.

10. Ich habe nicht studiert. Wirklich gar nicht. Und bereue das manchmal.

11. Ich konnte mal stricken.

12. Mein erstes HipHop-Album war "Licensed To Ill" von den Beastie Boys.

13. Ich besaß als Kind einen Wellensittich.

14. Ich mag einen alten Schlager. Schuld daran ist Klaas Heufer-Umlauf.

15. Ich besitze keinen Hut.

16. Mein erstes Schlagzeug hatte eine quietschende Fußmaschine.

17. Ich habe in meinem Leben drei tote Menschen gesehen.

18. Es existiert eine Tonbandaufnahme, auf der ich "Down By The River" von Albert Hammond singe.

19. Ich kann weder singen noch pfeifen.

20. Ich habe "Männer können seine Gefühle nicht zeigen" von Fischmob in einem Plattenladen in Aurich gekauft.

21. Ich wurde von einem Türsteher verprügelt. Völlig grundlos.

22. Ich habe (selbst diagnostiziert) Arachnophobie, Klaustrophobie und Akrophobie. Gute Mischung.

23. Bastian Pastewka blockiert mich auf Twitter und Nena blockiert mich auf Facebook.

24. Ich habe einen Tanzkurs besucht, inklusive Abschlussball.

25. Ich war nicht auf dem Abi-Ball meiner Jahrgangsstufe.

26. Ich habe Fahrradfahren an der Nordseeküste gelernt.

27. Ich halte Elvis Presley für überschätzt.

28. Während eines Tages der offenen Tür meiner Schule habe ich mir bei einem Sturz einen Zahn ausgeschlagen.

29. Ich mag keine Oliven.

30. Ich habe eine Mauer mit dem Vorschlaghammer abgerissen.

31. Mir fehlt ein großes Stück der linken Kniescheibe, worunter ich alle paar Monate leide.

32. Als Kind wollte ich Trucker werden.

33. Seit meinem 18. Geburtstag trage ich einen Ohrring.

34. Ich habe jahrelang jeden Morgen 100 Liegestützen gemacht und weiß gar nicht, warum ich damit aufgehört habe.

35. Obwohl ich ein Nerd bin, war ich noch nie auf einer Convention.

36. Ich bin praktisch in einem Campingbus aufgewachsen.

37. Ich hatte relativ lange Haare und einige Zeit einen Zopf.

38. Beinahe wäre ich Kanadier geworden.

39. Ich verachte Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie und Antisemitismus.

40. Wenn ich zu schnell spreche, verstehen manche am Telefon meinen Nachnamen als „Sänger“.

41. Meine beiden liebsten Celtic-Rock-Live-EPs sind "Electric Folklore Live" von The Alarm und "Under A Blood Red Sky" von U2.

42. Ich bin nicht tätowiert, weil ich mich nicht für ein Motiv entscheiden kann.

43. Fast ein Jahr lang war ich Vegetarier.

44. Ich bin mit deutlichem Abstand der jüngste von drei (eigentlich vier) Brüdern.

45. Wenn meine Gedanken im Chaosmodus sind, höre ich Jazz.

46. Ich bin Agnostiker, aber erst vor ein paar Jahren aus der Kirche ausgetreten, weil ich diesen Vorgang fälschlicherweise für kompliziert hielt.

47. Auf Tomaten reagiere ich allergisch.

48. Auf Besserwisserei auch.

49. Der erste Film, den ich im Kino gesehen habe, war "Elliott, das Schmunzelmonster".

50. Es gibt Dinge, über die ich nicht nur nichts in sozialen Netzwerken schreibe, sondern auch mit buchstäblich niemandem rede.

Donnerstag, 24. März 2022

Besuch von Oma

Eine wahre Geschichte: Da ich ein sogenannter Nachzügler bin (meine Eltern also quasi nicht mehr damit gerechnet hatten, nochmal Nachwuchs zu bekommen), habe ich meine Großeltern praktisch nicht kennengelernt. Ich weiß nicht, wie das ist, Omas und Opas zu haben. Sowas kenne ich nur aus Film und Fernsehen. Mit einer Ausnahme.

Die Ausnahme hieß Oma Elli und lebte in Ostberlin. Eingeweihte haben bereits die Geschichte ihres Ablebens gehört (Stichwort Aal), aber natürlich gibt es auch Anekdoten aus ihren Lebzeiten. Elli war - vorsichtig ausgedrückt - eine resolute Frau. Knapp 1,90 Meter groß, notorisch schlecht gelaunt und mit einem beeindruckenden Selbstbewusstsein gesegnet. Außer ihrer Meinung ließ sie keine andere gelten - und das mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, schließlich verfügte sie über die meiste Lebenserfahrung. Diese umfasste unter anderem ein umfangreiches Wissen darüber, was die körperliche Züchtigung ihres einzigen Sohnes anging. Und das wiederum war der Grund, warum mein Vater recht früh von zu Hause abgehauen war.

Dennoch kam es zu seltenen Begegnungen, denn der Mauer zum Trotz beehrte uns meine Großmutter alle paar Jahre mit ihrer unübersehbaren Anwesenheit. Eines dieser Familientreffen fand Ende der 70er Jahre "beim Griechen" statt. Seinerzeit war es durchaus etwas Besonderes, beim Essen außerhalb der eigenen Behausung ausnahmsweise nicht auf Schnitzel zu setzen, aber für unsere Matriarchin war meinen Eltern nichts zu teuer. Oma Elli bestellte natürlich als Erste und zwar für alle am Tisch, nämlich etwas, das sich "Dalmatiner-Platte" nannte. Es bestand im Prinzip aus Bergen von durchgegartem Fleisch, dekoriert mit etwas Gemüse. Gedacht war diese Grillplatte für mehrere Personen, die gute Elli ließ allerdings keinen Zweifel daran, das Gericht notfalls auch alleine verzehren zu können.

Nachdem es serviert wurde, rief meine Großmutter: "Ich suche mir zuerst aus, was ich esse." Danach befüllte sie ihren Teller mit etwa zwei Dritteln des Grillguts und krönte ihren kulinarischen Raubzug mit einem weiteren Ausruf: "Und die dicke Bohne und die Tomate gehören auch mir!"

Auf der "Dalmatiner-Platte" lagen weder eine Bohne noch eine Tomate. Allen am Tisch fiel Ellis Irrtum auf, die ungeachtet ihrer stets betonten Allgemeinbildung eine etwas gedrungene Peperoni und eine Chilischote, die eher Deko-Zwecken dienten, mit den genannten Zutaten verwechselt hatte. Mein ältester Bruder war auch mit Ende 20 schon jener gute Kerl, als den ich ihn noch heute schätze. "Das sind keine...", setzte er an. Wurde allerdings durch einen schmerzhaften Tritt unseres Vaters unterbrochen.

"Wenn die Oma die Bohne und die Tomate essen möchte", sagte dieser und lächelte freundlich, "dann soll die Oma die Bohne und die Tomate ruhig essen." Mein Bruder guckte irritiert, fügte sich aber dieser Feststellung. Elli schob sich also nacheinander die Fleischstücke in das, was mein Vater gerne als "Schlappmaul" bezeichnete. Und zum Schluss widmete sie sich genussvoll den vegetarischen Beilagen - naja, sie schob sie im Prinzip hinterher.

Erstaunlich, wie agil sich eine rund 120 Kilo schwere und über 80-jährige Hünin bewegen kann. Jedenfalls habe ich meine Oma nie zuvor und niemals danach so schnell laufen gesehen wie an diesem Abend. Und als sie von der Toilette zurückkehrte, hatte sie ganz glasige Augen. Auch die kannte ich von ihr gar nicht, waren ihr menschliche Emotionen doch weitgehend fremd.

Sie hat auch später noch gerne und immer ihren Willen durchgesetzt. Aber hätte es einige Jahre darauf Bohnen und Tomaten zum Aal gegeben, könnte ich eine meiner besten Geschichten heute nicht erzählen.

Donnerstag, 13. Januar 2022

Auf dem Cover

Eine der absurdesten Geschichten der vergangenen Monate ist, dass das einstige Baby vom "Nevermind"-Plattencover die verbliebenen Nirvana-Mitglieder wegen Kindesmisshandlung verklagt hat. Alle paar Jahre wird ja gemeldet, dass der Gute inzwischen 18 sei - was natürlich Blödsinn ist, denn das Album ist 30 Jahre alt. Ich kann sogar nachvollziehen, dass es jemand nicht so töfte findet, wenn er als Nackedei in zigtausend Plattensammlungen zu finden ist. Aber mal ehrlich: Wer würde ihn denn auf der Straße erkennen?

Außerdem frage ich mich, warum sich das Bienenmädchen vom Blind-Melon-Cover und aus dem Video nicht beschwert. (Heather DeLoach ist inzwischen Schauspielerin.) Oder Peter Rowan, der auf mehreren U2-Covern zu sehen ist. Oder die Kinder auf Alben von Dinosaur jr., Korn, den Smashing Pumpkins und Notorious B.I.G..