Wenn alte Freunde oder neue Bekannte von meiner Begeisterung für Jazz erfahren, müllen sie mich gerne mit Vorurteilen und Halbwissen zu. Die Palette reicht dabei von dem völlig unbelegten Vorwurf, hinter einem schwarzen Kaffee und in einem ebensolchen Rollkragenpullover in Straßencafés zu sitzen, über den unverschämten Hinweis auf meinen teils ergrauten Bart bis hin zur wüsten These, Jazz sei "sowas wie die Blues Brothers oder Jan Delay".
Ich neige nicht dazu, milde zu lächeln. Deshalb eröffne ich meist eine später lautstark geführte Debatte, aus der ich stets als moralischer und argumentativer Sieger hervorgehe. Jazz ist eben was für Intellektuelle.
Mit der mir eigenen Bescheidenheit glaube ich gar, beurteilen zu können, dass es den Jazz gar nicht gibt. Was im Plattenladen für gewöhnlich in der zweitkleinsten Abteilung zu finden ist, ist vielfältig und kaum zu definieren. Sicher lässt sich eine Brücke von Miles Davis zu Galliano schlagen, aber sie ist ein wenig wackelig und führt in nebliger Höhe über belebte Straßen und verzweigte Irrwege. Abgekürzt: "Mein" Jazz - das ist Coltrane und Mahavishnu Orchestra, Ginger Baker und John Scofield. Aber vor allem und als erstes und immer wieder: Jonas Hellborg. Der ist Schwede, spielt Bass und sieht auf dem Cover seines Albums "Axis" sehr eigenartig aus. Unter anderem deshalb hängt es an der Wand meines Büros.
Der andere Grund ist: Die Platte ist gut. Sie eignet sich für Jazz-Novizen, zum Einstieg, zum behutsamen Hinübergleiten in die fremde Welt, die selten was zu tun hat mit Pop und Kommerz (und fast nie was mit schwarzen Rollkragenpullovern). Dafür mit Funk und Soul und Improvisation ohne Übertreibung. Alt-Jazzer (sprich: Jatzer) mögen sie trotzdem - ich hab's selbst erlebt.
Der zweite, sicher gleichfalls zögernde Schritt erfolgt auf Hellborgs Beste: "The Silent Life". Ein akustisches Meisterwerk (und ich benutze dieses Wort etwa so leichtfertig wie "Freund" oder "Hass", also überhaupt nicht leichtfertig) ist das, reduziert, ganz nah dran und atmosphärisch mit der Betonung auf den ersten beiden Silben. Groß.
Allein diesem Adjektiv merkt man meine Begeisterung an, die Begeisterung eines passionierten Rock-Hörers, der nicht nur Rock hört. Grauer Bart hin, schwarzer Kaffee her - ich mag Jazz ohne Klischees. Und quatscht in diesem Zusammenhang bitte nie wieder was von Jan Delay.
Jonas Hellborgs offizielle Webseite