Freitag, 20. September 2024

Am Graben

"Verdammt", fluchte er. "Das Ding sitzt bombenfest, da ist nichts zu machen." Zornig warf er das Stemmeisen auf den Boden, ging einen Schritt zurück und betrachtete ärgerlich die Zugbrücke.

"Du hast das doch selbst installiert", sagte die Stimme. "Warum beschwerst du dich jetzt?"

"Das weiß ich auch", antwortete er. "Eine Weile war das alles ja gut und richtig. Aber so langsam..."

"So langsam was?", fragte die Stimme. "So langsam fühlst du dich einsam?"

"Du bist mir keine große Hilfe", knurrte er. Großflächig sprühte er die Zugbrücke mit WD-40 ein und zog mit aller Kraft daran. Aber sie bewegte sich keinen Zentimeter.

"Vielleicht solltest du aufgeben", sagte die Stimme. "Oder fällt dir etwas Besseres ein?"

"Langsam fängst du an, mich zu nerven", flüsterte er. Dann ging er einige Meter nach hinten und blickte entschlossen auf den Burggraben. Er dachte an die Krokodile und Haie, die darin schwammen. Er selbst hatte den Graben ausgehoben und sie hineingelassen.

"Was hast du denn nun vor?", fragte die Stimme. "Das kann nicht funktionieren."

"Ich bin nun mal ganz schlecht im Aufgeben", sagte er. "Und wer bist du überhaupt?"

"Ich bin die Stimme", sagte die Stimme. "Die Stimme in deinem Kopf. Mehr ist dir nun mal nicht geblieben."

Er nahm Anlauf und lief auf den Graben zu. So schnell er konnte. Als er mitten im Sprung war, wusste er, dass er die Stimme nie wieder hören würde. Dass er endgültig allein war. Und es bis zur anderen Seite schaffen musste.

Freitag, 13. September 2024

Über Meinungen

Kommt ihr noch mit? Ich nicht. Natürlich will ich am liebsten niemanden diskriminieren, ausgrenzen oder falsch behandeln. Aber ich schaffe es nicht. Jeden Tag ein neues Problem, das dringend diskutiert werden muss. Tausend Perspektiven, die ich einnehmen soll. Ungezählte Seiten, auf die ich mich zu schlagen habe oder auf keinen Fall schlagen darf.

Ich hab nicht mal eine hundertprozentige Haltung zu Luke Mockridge oder Dave Grohl. Etliches ist mir egal. Weil mir das alles zu viel wird.

Ich hab's generell eher nicht so mit Menschen, aber ich behandele alle weitgehend gleich, verachte Rassisten, Nazis und vergleichbares Gesocks mit jeder Faser meines Seins und wünsche mir Weltfrieden und eine gesunde Natur. Ich trenne Müll, fahre möglichst wenig Auto und behandele alle Leute erstmal freundlich. Reicht das nicht notfalls?

Irgendwie sind wir doch alle (Rand-)Gruppen. Vielleicht versuchen wir's mal gemeinsam. Und stören uns zwischendurch nicht an allem und jedem, sondern lassen a) auch mal was aus und b) andere Meinungen gelten (außer s.o.).

Schreibt ein alter, weißer, überhaupt nicht reicher Hetero-Cis-Mann ohne Religionszugehörigkeit und Anspruch auf Perfektion.

Montag, 9. September 2024

Ist es ein Vogel? Ist es ein Flugzeug?

Habt ihr euch mal überlegt, wie es wäre, Superkräfte zu haben? Ich hab da mal realistisch drüber nachgedacht. Nehmen wir an, diese radioaktive Spinne beißt mich. Für mich als Arachnophobiker grundsätzlich keine so ganz angenehme Vorstellung.

Aber was hätte ich davon? Und was der Rest der Welt? Ich hab ja immer noch Höhenangst. Also ist es völlig egal, dass ich jetzt an Wänden rumlaufen kann, denn mehr als ein paar Zentimeter wären nicht drin. Und ich könnte auch nicht lässig von Hochhaus zu Hochhaus schwingen.

Zum einen müsste man die Statik vielleicht nochmal durchrechnen, aber zum anderen wäre es schon ein bisschen uncool, wenn dabei alle meine Angstschreie hören. "Oh, da oben ist Spider-Man!" "Hilfeeeeeeeee..!"

Mal abgesehen davon wohne ich ja durch den Spinnenbiss nicht automatisch in New York. Und wir haben hier auf dem Land etwa null Wolkenkratzer. Gut, das löst mein Problem mit der Höhenangst. Ich latsche und hüpfe also zu ebener Erde und bekämpfe das Verbrechen. Blöd nur: Auch das haben wir hier nicht.

"Sie stehen unberechtigt auf einem Behindertenparkplatz! Fahren Sie sofort weg oder ich werfe diesen… Altkleider-Container nach Ihnen!" Ganz schön beeindruckend. Dass ich theoretisch an Häusern krabbeln könnte, würde ich einfach verschweigen. Und mein Wappentier wäre auch sicher nicht sowas Fieses wie eine Spinne. Vielleicht eher Fuchs oder so. Die hüpfen auch nicht.

Das mit dem sechsten Sinn wäre ganz praktisch. Allerdings auf Dauer vielleicht etwas anstrengend, falls er bei jedem AfD-Wähler anschlägt. Ich würde also durch die Botanik latschen, kleinere Vergehen verhindern und ab und zu einen Traktor aus dem Graben ziehen. In einem schlecht sitzenden Fuchskostüm.

Und das Schlimmste: Aus großer Kraft folgt große Verantwortung. Nee, das ist alles nix für mich.

Samstag, 7. September 2024

Im Netz

Ich finde sie eklig. Allein schon die Beine. Und diese Augen. Alle erzählen mir immer, dass sie mehr Angst vor uns haben als wir vor ihnen. Aber ich mag sie einfach nicht.

Neulich im Wohnzimmer hatte ich ein besonders hässliches Exemplar vor mir. Auf einmal lief das Vieh da herum. Es war riesig, mit einem fetten Körper und diesen ekelhaften Beinen. Hatte ich erwähnt, wie furchtbar ich die Beine finde?

Und von wegen, die haben Angst. Das Ding war ganz schön aggressiv. Da hat man so ein Riesenviech im Haus und dann wird es auch noch bösartig. Keine Ahnung, ob die, die hier leben, wirklich giftig sind, aber ich lasse es auch nicht drauf ankommen.

Weil ich allein zu Hause war, konnte ich nicht viel machen. Ich warte also seitdem, bis die anderen wieder da sind. Die sollen sich was einfallen lassen. Irgendwie muss man den Oschi wieder loswerden. Das Vieh sitzt mitten im Wohnzimmer und bewegt sich nicht. Am Ende nistet es sich hier ein und kriegt noch Nachwuchs oder so.

Ich lasse es jedenfalls nicht aus den Augen. Sitze hier in meinem Netz und starre das dicke Monster an. Vielleicht habe ich eine Phobie. Eine Menschenangst. Ekelhafte Viecher. Und viel zu wenige Beine.