Ich glaube, wir leben im Zeitalter der Grenzen. Vielleicht ist das die Reaktion auf Globalisierung und Nachrichtenverfügbarkeit, auf eine Welt, die für jeden immer komplizierter wird, weil sie in ihrer Komplexität sichtbar geworden ist, wo Medienkompetenz und Verständnis langsam aussterben. Da geben Grenzen natürlich Sicherheit, da ziehen viele sich zurück in einen überschaubaren Rahmen, in dem sie sich geborgen und zu Hause fühlen, den sie überblicken können.
Global betrachtet ist das selbstverständlich negativ: Der Nationalismus ist aus dem fruchtbaren Schoß gekrochen und bringt fast überwundene Vorurteile und gefährlichen Hass mit sich, wo doch erst vor kurzem die Grenzen gefallen sind. Die demente Orange fabuliert von ihrer Mauer, den Briten reicht es nicht, nur geografisch eine Insel zu sein, die Gesellschaft spaltet sich freiwillig und unfreiwillig. Man rottet sich zu Stämmen zusammen, sucht nach Unterschieden, obwohl Gemeinsamkeiten die Lösung wären.
Der Blick über den Tellerrand macht manchen Angst, weil Fremdes immer eine Herausforderung darstellt. Was anders ist oder neu, will entdeckt und verstanden werden, bringt Veränderung mit sich und schafft dadurch Verunsicherung. Da guckt man lieber nur auf sich, ignoriert überheblich, wenn man andere stört oder beleidigt, wird aggressiv und egozentrisch.
Und ein bisschen gilt das für jeden von uns, vor allem im Netz: Auf Facebook sehen wir nur, was der Algorithmus unserer persönlichen Vorlieben uns präsentiert, der Online-Versandhandel zeigt uns, was unserem Kaufverhalten entspricht, der Streaming-Dienst kennt unsere liebsten Freizeitaktivitäten, die Worterkennung unsere Formulierungen - und letztlich sitzt jeder an seinem eigenen PC, guckt auf sein eigenes Smartphone oder Tablet. Ich nehme mich da nicht aus: Als eher introvertierter Charakter brauche ich meinen Rückzugsort, wenn mich das bunte, laute Leben draußen mal wieder überfordert. Und wenn ich an dieser Stelle auf Nazis schimpfe, Musik teile oder meine Meinung über Filme aufdränge, freuen mich natürlich die positiven Reaktionen meiner Filterblase, meiner Social-Media-Hood, meiner Freundesliste.
Aber vielleicht schadet es nicht, sich ab und an klarzumachen, dass wir alle in Grenzen leben. Sozial, politisch, auch emotional. Und dass man die der anderen respektieren und nicht ungefragt übertreten sollte. Ebenso vielleicht könnte es andererseits sinnvoll sein, größere Grenzen immer wieder zu hinterfragen. Die mit den Schlagbäumen und dem Stacheldraht, die zwischen Bevölkerungsgruppen oder Religionen, die verhindern, dass wir wirklich zusammenleben.
Kurz: leben und leben lassen. Eigentlich ist es ganz einfach.