Zuvor war seine Formation - bestehend aus ehemaligen Mitgliedern von Malfunkshun und Green River - als "das nächste große Ding" gehandelt worden. Ihre ungewöhnliche Hingabe zum Glamrock der 70er machte sie zu einem so hörenswerten wie originellen Act und platzierte ihre Heimatstadt Seattle auf der unübersichtlichen Karte der Rockmusik. Das plötzliche, vielleicht nicht ganz unerwartete Ableben ihres Frontmanns beendete die Laufbahn der Band jedoch, ehe sie richtig beginnen konnte. Und schuf gleichzeitig eine lokale Legende.
Chris Cornell, Sänger von Soundgarden (die ihrerseits ebenfalls in den Startlöchern für eine größere Karriere standen), verarbeitete den Verlust mit zwei Songs, die er seinem verstorbenen Freund widmete. Das melancholische "Say Hello 2 Heaven" und das an Neil Young erinnernde "Reach Down" wollten jedoch nicht recht zum Material seiner eigenen Band passen, die schon damals eher auf den Spuren von Led Zeppelin und Black Sabbath unterwegs war. Mit seinem Drummer Matt Cameron, den beiden Mother-Love-Bone-Musikern Jeff Ament und Stone Gossard sowie dem Gitarristen Mike McCready rief er daher das Projekt Temple Of The Dog ins Leben. Man traf sich zu ausgiebigen Jam-Sessions, die schließlich in Aufnahmen eines gemeinsamen Albums gipfelten.
Zu den neuen Stücken gehörte die Ballade "Hunger Strike", mit deren Refrain Cornell haderte. Daher baten die Musiker einen jungen Surfer und passionierten Sänger ins Studio, der parallel dazu mit dem ersten Album einer neuen Band um Ament, McCready und Gossard beschäftigt war: Eddie Vedder. Während also die erste und einzige Veröffentlichung von Temple Of The Dog langsam Gestalt annahm, entstand zeitgleich das Debüt von Pearl Jam - beide Werke etablierten Seattle endgültig als das neue Mekka für Freunde knackiger Gitarren in klassischem Stil.
Die großen Plattenfirmen schickten natürlich eilig ihre schwarzen Reiter in den amerikanischen Norden, um dort alles unter Vertrag zu nehmen, was ein Karohemd trug und/oder eine Gitarre vor dem Bauch hängen hatte. Das Label Sub Pop galt Kennern bald als nun nicht mehr so geheimer Tipp auf der Suche nach interessanten Bands. An deren Spitze machte ein Trio aus Aberdeen (Washington) von sich reden, das von einem blassen, blonden Jungen mit Bartstoppeln und traurigem Blick angeführt wurde. Kurt Cobain - so der Name des leidenschaftlichen Punk-Fans - wollte alles, aber ganz gewiss kein Rockstar werden. Der weltweite Erfolg seiner Band Nirvana machte aber aus ihm genau das. Schwere Zeiten für einen depressiven Einzelgänger mit Magenproblemen. Und während der restliche Planet zu "Smells Like Teen Spirit" tanzte, suchte er nach einem Ausweg aus dem unverhofften Ruhm.
Unterdessen spülte die Grunge-Welle (so nannte die Musikindustrie das neue Genre, das eigentlich keins war) weitere hörenswerte Bands in vordere Hitparaden-Regionen. Soundgarden, Alice In Chains und die Screaming Trees bekamen verdientermaßen ihren Teil vom Kuchen ab. Andere wie der schwergewichtige Tad oder die unberechenbaren Melvins blieben zu schräg für den Mainstream. Ähnliches galt für die Szene-Veteranen Mudhoney um Green-River-Mann Mark Arm, die nicht bereit waren, ihren lärmigen Garagenrock dem Massengeschmack anzupassen.
Das taten andere: Eine zweite Welle rollte an, diesmal nicht zwingend aus Seattle oder nahegelegenen Städten, sondern aus Großbritannien (Bush), Australien (Silverchair) oder zumindest aus Kalifornien (Stone Temple Pilots). Inzwischen erinnerten allenfalls Attitüde und Optik noch daran, was den Grunge ausgemacht hatte. Die Musik war meist melodischer College-Rock, von der Experimentierfreude, die zwischen dem klassischen Stadionrock von Pearl Jam und dem Punk-Pop von Nirvana alles möglich gemacht hatte, war nicht mehr viel übrig.
Heute spricht man in diesem Zusammenhang gern von der letzten großen Revolution in der Rockmusik, und da ist ja auch was dran. Der Erfolg der genannten Bands hat einiges verändert, hat möglich gemacht, dass auch ungewöhnliche und ungewohnte Klänge durchaus Gehör finden. Bunt waren sie, die 90er, und laut, und wir hatten unseren Spaß mit der Tristesse und den tief hängenden sechs Saiten.
Einem wurde das alles schnell zuviel. Cobain haderte mit seiner Popularität, flüchtete sich in bewusst unkommerziell produzierte Songs, in eine kaputte Ehe und immer wieder in Halluzinogene. Am 5. April 1994 nahm der 27-Jährige sich mit einer Überdosis und einem Schuss in den Kopf das Leben. Nur vier Jahre lang hatte der Grunge die Welt ein bisschen lauter gemacht und der Generation X ihren passenden Soundtrack verpasst. Am Ende war der Tod.