Mittwoch, 13. Mai 2015

Das Leben ist live II

Was man vor, neben und hinter der Bühne erleben kann:

18. April 1990: Zwei leicht verranzt aussehende Kerle schleichen sich auf die Bühne der Offenbacher Stadthalle. Sie nennen sich Storm, und ihre Musik klingt eher wie die Ruhe davor. Die Midnight-Oil-Fans warten gelassen auf ihre Band, ich freue mich über die akustische Version von "Every Breath You Take". Ein Liebeskummer-Song für mich.

16. Juni 1990: Auf dem heimischen Plattenteller dreht sich nicht nur, was im "Zillo" steht. John Mayall und Rory Gallagher verschaffen einen Blick auf eine Welt jenseits düster dräuender Gitarren. "Hey, lass uns das Blues-Konzert im KFZ besuchen", schlägt jemand vor. "Im was?", frage ich zurück. Eine Band namens Muddy Blues und Hannes Bauers Orchester Gnadenlos liefern den nächtlichen Soundtrack zum Beginn einer Freundschaft. Und ich meine nicht die mit dem Blues.

16. Februar 1991: "Denn mir sinn widder wer", singt Wolfgang Niedecken, und die Marburger BAP-Fans in der Stadthalle gröhlen mit. Ich bin ziemlich sicher, dass kaum jemand die Worte der Gäste vom Rhein versteht, geschweige denn ihre Intention. Aber es passt so schön: Wir sind wiedervereinigt, wir sind Weltmeister, wir sind wieder wer "zwesche Alpe un Meer". Da brüllt es sich leicht. Ich bin vermutlich der einzige, dem an diesem Abend aus anderen Gründen kalte Schauer über den Rücken laufen. Musik beginnt, ihre Unschuld zu verlieren. Von wegen, böse Menschen haben keine Lieder. Wollt Ihr das totale Brötchen? Und jetzt alle...

9. März 1991: Wiglaf Droste und Bela B. haben recht: Herbert kann nicht tanzen. Weil einer von uns ein Gipsbein hat, lassen uns die Türsteher der Hessenhalle in Alsfeld zu den Logenplätzen, und wir haben gute Sicht auf das Drama da unten. Grönemeyer gibt alles, lacht, schwitzt, "hospitalistisch, autistisch". Er rennt von einer Seite der Bühne zur anderen, um auf halber Strecke das Mikro zu greifen. Gar keine gute Idee. Der Mikroständer ist erstaunlich stabil, Herbert eher nicht. Geht zu Boden, lacht nicht mehr, schwitzt nur noch. "Kann nichts sagen - Angst." Bis er sich aufrappelt, spielt die Band stoisch weiter. Unter dem Jubel der Massen steht Grönemeyer schließlich wieder auf beiden Beinen, sein Scheitel wippt verlegen. "Alles total kaputt."

29. Mai 1991: Ich zitiere fast täglich aus Bob Geldofs Autobiografie. Liebe das aktuelle Album "Vegetarians Of Love". Und bin glücklich, dass der Meister mein Städtchen beehrt. Das Georg-Gaßmann-Stadion wird an diesem Abend zum riesigen Pub. Besser geht es kaum. Die Leser der Lokalpresse sehen das anders: In den Briefen an die Redaktion ist später tatsächlich von "Negermusik" die Rede. So stilsicher nörgelt der Marburger.

14. Juni 1991: Na klar - da bin ich einmal im Fernsehen, wenn "Live aus dem Schlachthof" aus Schönstadt überträgt, und dann kramen die Verantwortlichen ungefähr die peinlichsten musikalischen Gäste raus, die sie finden konnten. "Let Your Love Flow", singen die Bellamy Brothers. Für Uneingeweihte: Das ist das Original von "Ein Bett im Kornfeld". Und gewinkt habe ich auch nicht.

28. Juli 1991: Verbrannte Wiese, verbrannte Haut - dieser Sommer an der Themse ist die Hölle. Etwas Abkühlung verschafft das "Kilburn Irish Youth Festival". Unter anderem schleichen sich zwei leicht verranzt aussehende Musiker auf die Bühne. Der Name Storm passt noch immer nicht, ihre akustischen Lieder sind eher eine leichte Brise. Und "Every Breath You Take" ist längst kein Liebeskummer-Song mehr.

16. Februar 1992: "Mensch, ich lieb dich doch" heißt das Stück, das im Theater neben dem Turm zu sehen war. Nach der letzten Vorstellung findet am Afföller eine Party statt. Die ist leider nicht ganz so erlebenswert wie die Location. Also fahren wir rüber in die Robert-Koch-Straße zum Café Trauma, um uns eine Punkband aus Kalifornien anzugucken. Als wir ankommen, sind die drei Amis gerade bei den Zugaben. Unter anderem hören wir "Sweet Home Alabama".  Doch noch ein gelungener Abend. Danke, Green Day.

26. Oktober 1996: Das Mädel ist sauer. Sie wollte Fleischmann im KFZ sehen, aber die Herren Jackschenties. Hoffmann und Leeder haben entgegen der Präzision ihrer Musik nicht pünktlich angefangen. Deshalb ist ihr Auftritt nicht mal halb vorbei, als die Mahnung ihrer Mutter droht, die Zuschauerin nach Hause zu zwingen. Das Problem ist schnell gelöst. "Hat jemand ein Handy dabei?", fragt Norbert Jackschenties das Publikum. Karl vom Kulturladen-Team hat eins, und so ruft der Sänger und Gitarrist von der Bühne aus die Eltern des Mädchens an und bittet sie, ihre Tochter noch etwas länger verweilen zu lassen. Diese stimmen unter dem Jubel der Zuhörer zu. Und Fleischmann spielen weiter: "Alles ist gut - jetzt ist alles gut!"

16. Juni 2007: "Geh doch nochmal zurück", schlägt Jan vor. "Es gibt bestimmt ein oder zwei Kerle, die du noch nicht angerempelt hast." Ich erwäge kurz, diesem Rat zu folgen. Eine Massenschlägerei, die die MTV Campus Invasion sprengt - das wär's jetzt. Ich bin wütend, weil das Leben nicht fair ist. Weil es mir wenige Tage zuvor einen guten Freund genommen hat. Ausgerechnet Mando Diao schaffen es, dass ich wieder runterkomme. Dabei ist ihr Auftritt völlig zerfahren und ein bisschen kaputt. Wie ich an diesem Tag. Mach's gut, Pa. Ich mach mal weiter. Es gibt noch viel zu sehen und zu hören.

(Zum ersten Teil geht's übrigens hier entlang...)