Freitag, 18. April 2025

Niemand vermisst dich

Ich schaue gerade die Doku "Fynn Kliemann - ich hoffe, ihr vermisst mich" in der ARD-Mediathek. Und muss ein karfreitägliches Kötzerchen zurückhalten. Wir sehen jemanden, der mit in der Dritten Welt produzierten Masken in der Corona-Zeit richtig Geld verdient hat und fehlerhafte Masken an Geflüchtete verteilen wollte und nun Mitleid erwartet. Weil es ihm nicht gut geht, seit er kein gefeierter Influencer und Unternehmer mehr ist.
Kliemann inszeniert sich als zarte Künstlerseele, er sei nun ein anderer Mensch, man müsse auch vergeben können. Dazwischen schneidet der HR die Statements ehemaliger Weggefährten und Zeitzeugen, um ein wenig öffentlich-rechtliche Ausgewogenheit zu simulieren.
Da sitzt einer, der zurecht und nach der sauberen Recherche einer Satireshow abgestürzt ist, in seinem eigenhändig frisch renovierten Landhaus auf seinem riesigen Grundstück und quatscht in erster Linie über seine neuen Lieder. Aber er guckt doch so melancholisch. Und trinkt nachhaltige Rhabarberschole. Und streichelt eine Katze. Der kann doch nicht böse sein. Dem können wir doch nicht böse sein.
Mich überrascht, dass der Mist nicht von Luke Mockridge moderiert wird und Gil Ofarim dazu singt. Krise kann nämlich bekanntlich auch geil sein.

Montag, 3. März 2025

Der Führerschein (2)

Ich habe bereits berichtet, dass die Beantragung meines neuen Führerscheins völlig reibungslos verlief. 

Die freundlichen Mitarbeiter der Zulassungsstelle boten mir sogar an, mir das Kärtchen auf dem Postweg zukommen zu lassen. Wie praktisch. Das erspart mir die Fahrt vom Dorf in die Kreisstadt, ist also auch ökologisch sinnvoll.

Nicht ganz durchdacht hatte ich, dass ein offizielles Dokument per Einschreiben zugestellt wird. Und dass, sollte niemand zu Hause sein, der Postbote jenes Einschreiben in der Postservicestelle hinterlegt.

Das alles bedeutete im konkreten Fall nämlich, dass ich jene Postservicestelle aufsuchen musste, nachdem ich die entsprechende Benachrichtigung im Briefkasten gefunden hatte. Die Postservicestelle befindet sich übrigens in der Kreisstadt. Noch dazu in unmittelbarer Nähe der Zulassungsstelle. Wirklich überaus praktisch, dass ich meinen Führerschein nicht dort abholen musste.

Beim Zahnarzt

Nach der Behandlung beim Zahnarzt fülle ich zum zweiten Mal einen Patientenbogen aus und lege ihn der Assistentin am Empfang vor. Gleichzeitig bitte ich um einen neuen (den hoffentlich vorerst letzten) Termin.

"Dankeschön, das hefte ich ab. Dann gucken wir mal nach dem nächsten Termin... Lieber morgens, ne?"

"Genau, dann hab ich es hinter mir."

"Herr Kimbel, der Termin am 15. zur Finanzierungsbesprechung steht?"

"..."

"Hallo?"

"Hallo."

"Antworten Sie mir nicht?"

"Zumindest nur, wenn Sie mich ansprechen. Mein Name ist nicht Kimbel und ich habe keinen Bedarf an einer Finanzierungsbesprechung."

"Ach ja, Herr Engelhardt. Und wo ist Herr Kimbel?"

"Eventuell auf der Flucht. Keine Ahnung."

"Hm. Naja, dann für Sie erstmal einen Termin..."

Ein bisschen ärgert mich ja, dass meine brillante popkulturelle Referenz komplett an ihr vorbeigegangen ist.

Montag, 24. Februar 2025

Nach oben

Es fühlte sich leicht an. Nachdem sie endlich losgeschwommen war, hatte sie eine ganze Weile nicht gedacht, dass sie es schaffen würde. Aber da war diese Sehnsucht in ihr, dieser Schmerz, diese Hoffnung. Einmal nur wollte sie etwas anderes sehen als das schwarze Nichts, das sie so lange kannte.

Der Beginn ihrer Reise war anstrengend. Sie war es gewohnt, sich kaum zu bewegen. Deswegen tat jeder Schlag ihrer Flossen weh, kam ihr seltsam vor. Dann irgendwann begann sie sich an das Gefühl zu gewöhnen. Oder wurde es leichter, je mehr sie sich der Helligkeit näherte?

Aus der Schwärze wurde ein dunkles Grau. Dann ein Grün, schließlich ein helles Blau. Sie spürte kaum noch die Macht des Ozeans, in dem sie lebte. Stattdessen löste Freude alle schlechten Gefühle ab. Und Mut.

Und dann war es soweit. Ein strahlendes Leuchten war zu sehen, ihre Augen hatten sich während ihrer Reise langsam daran gewöhnt, dass sie nicht mehr in ewiger Nacht schwebte. Sie war aus eigenem Antrieb nach oben geschwommen, wo es warm war und friedlich. Und wunderschön.

Endlich hatte sie ihr Ziel erreicht. Sie hatte ihren größten Kampf gewonnen und war nun dort, wo noch nie einer ihrer Artgenossen gewesen war. Sanft kitzelte das Licht ihr Gesicht. Sie lächelte und spürte ein letztes Mal das Leben. Es fühlte sich leicht an.

Mittwoch, 19. Februar 2025

Lebendig

Fast 34 Jahre alt ist dieses Lied. Ich kann nicht sagen, wie oft ich es in diesen 34 Jahren gehört habe. Es ist immerhin der erste und größte Hit von Pearl Jam, die seit jenem Tag, an dem ich es zum ersten Mal gehört (und das Video gesehen) habe, zu meinen absoluten Lieblingsbands zählen. Man sollte meinen, dass ich es mir irgendwann langweilig wird. Aber das ist nicht der Fall.

Das ist einfach ein ganz besonderer Song. Eine epische Hymne, irgendwo zwischen klassischem Rock und dem, was kurz darauf Grunge genannt wurde. Ein dynamisches Arrangement. Eine grandiose Melodie. Ein Refrain, der ungewöhnlich und dennoch eingängig ist. Gespielt und gesungen von absoluten Ausnahmemusikern. Und eine Atmosphäre, die mich seit 34 Jahren durch tolle Zeiten begleitet und immer wieder aus schwierigen Zeiten rettet.

Ein Lied für die Ewigkeit.



Freitag, 7. Februar 2025

Großartige deutschsprachige Songtitel

Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk 

Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit

Wie wir beide nebeneinander auf dem Teppichboden sitzen

Jungs, hier kommt der Masterplan

Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein

Über Sex kann man nur auf Englisch singen

Alles, was ich will, ist nichts mit euch zu tun haben

Michael Ende, du hast mein Leben zerstört

Ich habe geträumt, ich wäre Pizza essen mit Mark E. Smith

Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst

Ich wünschte, ich würde mich für Tennis interessieren

Das Imperium rudert zurück

Helm ab zum Gebet

Irgendwas vom jungen Dr. Dre 

Ich möchte Ilona Christen die Brille von der Nase schlagen

Im Rockstadion trifft sich das schlechte Gewissen

Es sei denn, du bist Snake Plissken

Ich werde sie Yoko Ono nennen

Ein sozialkritisches Schlagzeugsolo später...

Entlassen (vor der Winterpause)

Hamburg, 8°, Regen

Konfessionen eines Nietenpunks

Wahre Skinheads fahren Rad 

Ich danke der Academy

Auch für mich 6. Stunde

Wir betraten die Enterprise mit falschen Erwartungen

Geringfügig, befristet, raus

Musik sollte immer ein schönes Hobby bleiben

Stockhausen, Bill Gates und ich

Partys gegen Volker Rühe

Das ist Gimbweiler, nicht L.A.

Wir glauben an gar nichts und sind nur hier wegen der Gewalt

Briefe an Patti Smith

Zwickau sehen und sterben

If The Kids Are Arschlöcher

Thom Yorke? Das hat uns die Intro eingebrockt

Ich, Jello Biafra und das verdammte WOM 

Boris Blocksberg

Geigen bei Wonderful World 

Nichts ist so schön auf der Welt, wie betrunken traurige Musik zu hören

Die Bastarde, die dich jetzt nach Hause bringen

An der Flamme eures Hasses (zünd ich mir eine Kippe an)

Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach HipHop-Videodrehs nach Hause fährt

Menschen ohne Angst wissen nicht, wie man singt

Immer wenn ich an dich denke, stirbt etwas in mir

Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf

& Jay-Z singt uns ein Lied

Bis du den Richtigen triffst - nimm mich

Vielleicht hatten deine Eltern Recht

Hans Meiser schickt mich

Du wirst dich schämen für deinen Ziegenbart

Rambo III mit Jochen Distelmeyer im Autokino

Buddy, nimm lieber den Bus (Auch ich bin nur ein Jonathan-Richman-Fan)

Eine Audienz bei Seiner Majestät, dem Metzger

Schluss mit dem Quatsch (jetzt wird Geld verdient)

Ich identifiziere mich nicht mit der Firmenphilosophie

Das letzte Biest am Himmel 

Das Ding, das durch den Wind geht

Der Führerschein (1)

Ich habe heute einen neuen Führerschein beantragt. Das war ganz einfach.

Zunächst bin ich gestern in ein mehrere Kilometer entferntes Dorf gefahren, weil ich wusste, dass im dortigen Rathaus ein Automat steht, der biometrische Passbilder erstellt. Ich war also zum ersten Mal aus privaten Gründen dort, traf aber selbstverständlich drei Ortsvorsteher und den Gemeindebrandinspektor. Vor mir in der Schlange am Automaten warteten eine junge Frau, die handgestoppte 43 Minuten brauchte, um ihre Passbilder machen zu lassen, und eine vierköpfige Familie, deren Eltern in meinem Alter waren. Mich stimmte etwas nachdenklich, dass die Mutter mir ihren Sitzplatz anbot.

Den Grund dafür ahnte ich jedoch, nachdem meine Bilder fertig waren. Offenbar war der Automat kaputt, denn er warf fünf Fotos eines alten Glatzkopfs mit weißem Bart aus. Da ich bereits mit Karte bezahlt und zudem einen Anschlusstermin hatte, nahm ich sie trotzdem an mich und schwor mir, meinen neuen Führerschein nur unter Zwang hervorzuzeigen.

Heute dann traf ich pünktlich zum online vereinbarten Zeitpunkt an der Zulassungsstelle in der Kreisstadt ein. Natürlich gab es dort ebenfalls einen Passbildautomaten, vor allem aber jede Menge Hinweisschilder. Ich ging an der Anmeldung vorbei nach rechts und suchte nach einer Möglichkeit, mich anzumelden. Ein Terminal forderte mich auf, dies mit seiner Hilfe zu tun und den Code einzugeben, den ich mit meiner Einladung erhalten hätte. Ich hatte keinen Code erhalten. Alternativ durfte ich mein Geburtsdatum eingeben. Auf diese Weise wurde mein Termin bestätigt und ich aufgefordert, im Wartebereich zu warten.

Der Termin, der mir bestätigt wurde, war für die Ausstellung eines Jagdscheins. Das erfuhr ich, als die für Führerscheine zuständige Sachbearbeiterin mich aus dem Gang hinter mir aufrief. "Ist das wirklich so kompliziert?", begrüßte sie mich. "Vielleicht bin auch einfach sehr dumm", tröstete ich sie. Sie und ihr Kollege waren wirklich freundlich, die Abwicklung des Umtauschs verlief so reibungslos wie die Bezahlung am Automaten. (Den ich mir sehr genau ansah - aus Angst, versehentlich eine Niere zu verkaufen oder die Ausbürgerung zu beantragen.)

Mein neuer Führerschein wird mir in zwei Wochen zugeschickt. Wann ich den Jagdschein bekomme, weiß ich leider nicht.

Freitag, 31. Januar 2025

Wort zum Wochenende

Zweimal. Zweimal hatte ich in den vergangenen zehn Jahren eine unangenehme Situation, die auf das Verhalten von Menschen zurückzuführen war, die ich auf den ersten Blick als Geflüchtete aus Nordafrika identifizieren würde. (Womit ich übrigens natürlich komplett danebenliegen kann. Sie könnten aus anderen Ländern stammen oder nicht den Flüchtlingsstatus haben. Letztlich im Wortsinn ein Vorurteil.)

Einmal fühlte ich mich milde bedroht, war also nicht in einer tatsächlich gefährlichen Lage, aber auf eine mögliche physische Konfrontation vorbereitet, die notfalls zu meinen Gunsten ausgegangen wäre. Und einmal habe ich eine Freundin zum Auto begleitet, weil eine Gruppe relativ aggressiv und laut auftrat. Passiert ist in beiden Fällen nichts.

Viermal. Viermal bin ich in meinem Leben in eine körperliche Auseinandersetzung mit mir unbekannten Menschen geraten, die ich als "typische" Deutsche identifizieren würde. Da war der ältere Mitschüler, der mich in der ersten Klasse verprügelt hat und mit dem ich später sogar befreundet war. Da war der bullige Typ aus der miesen Gegend, der eine Bemerkung von mir falsch verstanden hatte und mich beim Warten auf den Schulbus an die Wand gedrückt und geohrfeigt hat. Da waren die beiden Türsteher der Dorfdisco, die mich im Alter von 16 Jahren zusammengeschlagen haben, weil ich ein öffentliches Telefon benutzen wollte und sie bei ihren Drogengeschäften gestört habe. Und da war der betrunkene Punk am Flussufer, der mich abends überfallen wollte und das bereut hat. 

Keine Ahnung, wie repräsentativ das ist. Ob ich durchschnittlich oft in sowas verwickelt war. Ich bin froh, nie einen lieben Menschen durch eine Gewalttat verloren zu haben. Und ich kann glücklicherweise nicht beurteilen, was das unter Umständen mit einem macht.

Ich bin der Meinung, dass das Asylrecht eben genau das ist: ein Recht. Das man verwirken kann, wenn man vehement genug signalisiert, kein Interesse daran zu haben, ein Teil der Gesellschaft zu sein. Daher finde ich durchaus, dass Straftäter mit entsprechendem Status wieder ausreisen müssen. Das erscheint mir so selbstverständlich, wie es selbstverständlich ist, dass alle Menschen, die in Not sind, hier eine Zuflucht finden, um in Frieden leben zu können.

Nun wird zum wiederholten Mal darüber diskutiert, ob die Grenzen dichter gemacht und die Ausweisungen von Straftätern forciert werden sollen. Aber diesmal unter anderen Vorzeichen: Diesmal ist das das einzige Thema, das gepriesene Wundermittel in einem Wahlkampf, in dem es um die Zukunft unserer Demokratie geht. Und es ist das einzige Thema einer Partei, die diese Demokratie vernichten will. (Andere Themen, die übrigens gleichfalls Menschenleben betreffen, spielen keine Rolle. Flutopfer sorgen nicht für eine Verschärfung der Umweltgesetze.)

Ich weiß nicht, ob parlamentarische Anträge schlechter werden, wenn geifernde Faschisten, die ins Plenum gewählt wurden, sie unterstützen. Auf jeden Fall fühlt es sich falsch an. Ich weiß nicht, was nach der Wahl noch gilt und was überhaupt umgesetzt werden kann. Ich weiß nicht mal, wen ich in einem Monat in den Bundestag wähle. Ich weiß nur, wen nicht. Noch eine Selbstverständlichkeit.
Es sind wilde, traurige, komplizierte Zeiten. Die irgendwann vorübergehen werden. Und danach möchte ich in Teil einer Gesellschaft sein, die es allen Menschen ermöglicht, nach ihrem freien Willen zu leben, wenn sie niemanden gefährden.

Nie hätte ich gedacht, dass das mal ein ungewöhnlicher Wunsch sein könnte. Ist er nicht auch selbstverständlich?

Das war mein Wort zum Wochenende. Rasch getippt links von der Mitte, in der zweiten Lebenshälfte, irgendwo in einem Land mit relativ stabiler Wirtschaft und einer verantwortungsvollen Geschichte. Alerta, alerta, antifascista. Das ist definitiv selbstverständlich.