Hattet ihr schon mal Familienstreitigkeiten am Kaffeetisch über Nichtigkeiten? Also nicht über Politk oder das Klima oder Corona. Auch nicht über das Erbe von Oma Hildegard. Sondern über Kinkerlitzchen?
In meiner Verwandtschaft gab es einige Themen, mit deren Erwähnung man bürgerkriegsähnliche Zustände auslösen konnte. Meine Mutter und ihre Schwestern gehörten einer Generation an, die auf Schulbildung für Frauen keinen großen Wert legte. Sie hatten alle die "Volksschule" in ihrem ländlichen Stadtteil besucht, wo ein stramm doitscher Lehrer vier Klassen gleichzeitig unterrichtete. Manches von dem, was er den Kindern beibrachte, war schlicht Blödsinn.
So glaubten meine Tanten, die historische Zeitlinie beginne im Jahr 1, mit der Geburt Christi. Ich habe tausendmal versucht, ihnen klarzumachen, dass selbige im Jahr 0 verortet wird und man von vor und nach Christi Geburt spricht. In ihrer Welt existierte vor Marias mysterlöser Niederkunft nichts. Sie wussten nichts über die Urzeit oder die Antike. Selbst mein Einwand, dass weite Teile der Bibel ja davor spielen, die drei Könige offenbar schon da waren und irgendjemand die verschissene Krippe gebaut haben muss, sorgten allenfalls für Verwirrung statt Verständnis.
Die diskutable Bildung der betagten Damen war für sie unantastbar und stellte eine Geschichte dar, die ein Jahr nach Jesus' Geburt mit seiner Geburt begann und in der es vorher entgegen aller Logik einfach nichts gab. Adam, Eva, Saurier, Mammuts, das Alte Rom und das ebensolche Griechenland wurden zwar irgendwie als gegeben hingenommen, aber nicht in das für tausend Jahre zementierte Halbwissen integriert, das der linientreue Fingerklopfer ihnen einst eingetrichtet hatte. Man ahnt, wie Diktaturen funktionieren.
Jedenfalls: Wenn mir beim Geburtstagskränzchen langweilig wurde, brachte ich das Gespräch gerne mal auf den Geschichtsunterricht anno Tobak, lehnte mich zurück und genoss das Chaos.