Donnerstag, 5. November 2020

In Schweden

"Ich finde die Dinger gruselig", sagte sie und blickte angewidert auf die Plastikfigur, die seit ein paar Kilometern am Rückspiegel baumelte. "Was ist denn daran gruselig?", gab er zurück, die Augen auf die Straße gerichtet. "Der kleine Kerl ist doch putzig." Er hatte den Troll an der Tankstelle gekauft und verkündet: "Nun sind wir bereit für unsere Tour durch Schweden - Trolle bringen Glück." Jetzt fragte er gut gelaunt: "Warum haben die Kerlchen eigentlich immer solche lustigen Stupsnasen?" Sie grummelte: "Das ist wie mit Gott. Irgendwann hat da jemand entschieden, dass alter Mann mit Bart Kanon ist." Er lächelte.

"Der guckt so unheimlich", meinte sie. "Irgendwie kriege ich Gänsehaut." Der Plastiktroll schien sie mit seinen schwarzen Augen anzustarren, die unter der lila Wuschelfrisur hervorstachen. "Okay, okay, schon verstanden", antwortete er, riss die Figur vom Innenspiegel und warf ihn ins Handschuhfach. "Zufrieden?" "Zumindest beruhigt", sagte sie und machte ein Nickerchen.

Als sie wach wurde, fiel ihr Blick als erstes auf den Troll, der wieder unterm Rückspiegel hing und sie ansah. "Was soll das denn?", blaffte sie. "Wieso hängt der wieder da?" "Keine Ahnung", sagte er und wirkte ehrlich überrascht. "Ist mir gar nicht aufgefallen. Bist du sicher, dass du ihn nicht im Halbschlaf wieder hingehängt hast?" "Ja. Da bin ich ganz sicher." Langsam wurde sie wütend. An der nächsten Raststätte machten sie Halt, und er warf den Troll in eine Mülltonne. Als er den Motor anließ, sagte er: "So, das dürfte geklärt sein." Sie sah aus dem Seitenfenster und betrachtete die schwedische Landschaft.

Einige Kilometer weiter fuhr er plötzlich an den Straßenrand. "Was ist..?", begann sie, aber dann sah sie es. Der Troll hing wieder am Rückspiegel. Und er starrte sie an. "Das gibt's doch nicht, verdammter Mist", keuchte er, riss die Figur wieder ab und stieg aus. Sie sah, wie er sein Feuerzeug aus der Hosentasche kramte und den brennenden Troll auf den Boden warf. Dann trat er mehrfach auf den verschmorten Plastikhaufen ein. Als er einstieg, sahen sie sich an. "Werden wir verrückt?", fragte er. Sie zögerte mit einer Antwort: "Ich... weiß es nicht."

Es wurde langsam dunkel, und er hätte das Auto fast in den Gegenverkehr gezogen, als sie beide mit weit aufgerissenen Augen auf den kleinen Troll starrten, der wieder am Innenspiegel hing. "Jetzt reicht's", keuchte er, fuhr rechts ran, riss die Figur ab und stampfte vor den Wagen. Im Scheinwerferlicht sah sie, wie er den Troll mit seinem Taschenmesser zerschnitt und die Einzelteile ins Gebüsch warf. Dann rannte er zum Fahrzeug zurück, öffnete die Tür und sagte mit brüchiger Stimme: "Ich... das... kann doch alles gar nicht..."

Weiter kam er nicht. Eine riesige Hand hatte ihn von hinten gepackt und in das Zwielicht zwischen Scheinwerfer und schwedischer Nacht gezogen. Entsetzt starrte er den Angreifer an und erkannte ihn sofort. Die lila Wuschelhaare, die schwarzen Knopfaugen - aber der Troll war nun hünenhaft und haarig und offensichtlich sehr schlecht gelaunt. Und sein Gesicht... Statt der Stupsnase und des verschmitzten Grinsens hatte er eine groteske Fratze, wie die bizarre Parodie auf skandinavische Fabelwesen, völlig verzerrt und entstellt und laut brüllend. Als der Troll mit einer Pranke seinen Kopf zerquetschte, dachte er: "Scheiße - was, wenn Gott am Ende auch..?"

Sie schrie und konnte nicht mehr aufhören. Starr vor Angst sah sie zu, wie das Monster im Halbdunkel sein blutiges Abendbrot zu sich nahm. Dann dreht es sich zu ihr um und glotzte sie durch die Windschutzscheibe an. "Er guckt wirklich unheimlich", dachte sie, als der Troll auf sie zukam.