Mittwoch, 11. Januar 2012

Herzensangelegenheiten

Sie haben sich mit einem Flüstern verabschiedet. R.E.M. war fast immer eine Band der leisen Töne.

In der beschaulichen hessischen Kleinstadt hörte Ende der 80er natürlich niemand College-Radio. Deshalb kannte auch nur ein elitärer Kreis eingeweihter Nerds jenen Song, der aus einer kleinen eine mittelgroße Band machte. Diesem gehörte ich nicht an: "The One I Love" habe ich erst kurz nach "Stand" entdeckt. Das wiederum lief nämlich im klassischen Radio meines Heimatbundeslandes und brachte mich dazu, für relativ viel Geld in einem so genannten HiFi-Geschäft das Album "Green" zu erwerben.

1988 war das, die Platte war orange statt grün, voller Lieblingslieder, böser Texte, poppiger Harmonien und - damals durchaus üblich für den dürren Michael Stipe und seine drei Freunde - ansprechend verzerrten Gitarren. "Gitarrenrock" nannte das daher seinerzeit eine Musikzeitschrift und fügte völlig zurecht hinzu, dass dieser Begriff Blödsinn sei.

"Green" begleitete mich einige Jahre lang, es folgten der erwähnte Prä-Hit und "It's The End Of The World As We Know It (And I Feel Fine)" mit seinem großartigen Titel, dem Text, der volle Konzentration auf beiden Seiten erfordert, und stilsicher untergebracht auf einem Greenpeace-Sampler. R.E.M. waren "meine" Band, ich hatte sie entdeckt, kaum jemand in meinem Freundeskreis mochte sie. Immerhin: Im London des Jahres 1990 fing der Typ, der in unserer schmierigen Absteige am Empfang saß, zu singen an, als er mein wenig stilsicher imitiertes Band-Shirt sah. Und Dirk, der Bassist der Cockahoop Cockatoos, erzählte mir auf einer Fete begeistert davon, dass Mike Mills - sein Gegenstück bei R.E.M. - so ein klasse Sänger sei.

Dann kam "Losing My Religion". Ich habe fast 15 Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass dieses Lied nicht nur aus gutem Grund ein Riesenerfolg wurde, sondern noch dazu einfach toll ist. Aber R.E.M., dieses leicht zerrupfte Quartett mit dem heiseren Sänger, wurde zur Stadionband. Immer wieder war zu lesen, dass man im fernen Athens den kommerziellen Höhenflug selbst mit eher gemischten Gefühlen erlebte. Mir blieb weiterhin "Green", jenes subjektive Meisterwerk, dazu endlich "Document" von 1987. Bill Berry stieg aus, ein herber Verlust, den kein Studio- oder Tourdrummer der Folgejahre wettmachen konnte. Immerhin: Der Trommler wurde nicht ersetzt, Kompromisse waren ihre Sache nicht.

Als alle zu "Shiny Happy People" tanzten (dessen Ironie natürlich niemand außer mir verstanden hatte), blieb ich zurück, die Fäuste grimmig in die Hosentaschen gestopft. Als ich die Herren Stipe, Mills und Buck auf der Suche nach "New Adventures In Hi-Fi" begleitete, holte ich sie jedoch hervor und reckte sie mit breitem Grinsen in Richtung des schockierten Südkurven-Publikums. Irgendwann jedoch wurden Songs, Alben, letztlich die Band nicht nur mir immer egaler. Ab und an nickte ich wohlwollend, wenn ich mal auf eine neue Single stieß, meist jedoch gab es dazu keinen Grund.

Radio höre ich längst nicht mehr, "Green" noch immer regelmäßig. "Alle Dinge müssen enden, und wir wollten es richtig tun, auf unsere Weise", lautete die offzielle Stellungnahme zum Split. Konsequent bis zum Ende. Wie so oft merkt man erst, was man verloren hat, wenn es nicht mehr da ist. Da fehlt ein Flüstern häufig mehr als ein Schrei.