Sie haben sich mit einem Flüstern verabschiedet. R.E.M. war fast immer eine Band der leisen Töne.
In
der beschaulichen hessischen Kleinstadt hörte Ende der 80er natürlich
niemand College-Radio. Deshalb kannte auch nur ein elitärer Kreis
eingeweihter Nerds jenen Song, der aus einer kleinen eine mittelgroße
Band machte. Diesem gehörte ich nicht an: "The One I Love" habe ich erst
kurz nach "Stand" entdeckt. Das wiederum lief nämlich im klassischen
Radio meines Heimatbundeslandes und brachte mich dazu, für relativ viel
Geld in einem so genannten HiFi-Geschäft das Album "Green" zu erwerben.
1988
war das, die Platte war orange statt grün, voller Lieblingslieder,
böser Texte, poppiger Harmonien und - damals durchaus üblich für den
dürren Michael Stipe und seine drei Freunde - ansprechend verzerrten
Gitarren. "Gitarrenrock" nannte das daher seinerzeit eine
Musikzeitschrift und fügte völlig zurecht hinzu, dass dieser Begriff
Blödsinn sei.
"Green" begleitete mich einige Jahre lang,
es folgten der erwähnte Prä-Hit und "It's The End Of The World As We Know It (And I Feel Fine)" mit seinem großartigen Titel, dem Text, der
volle Konzentration auf beiden Seiten erfordert, und stilsicher
untergebracht auf einem Greenpeace-Sampler. R.E.M. waren "meine" Band,
ich hatte sie entdeckt, kaum jemand in meinem Freundeskreis mochte sie.
Immerhin: Im London des Jahres 1990 fing der Typ, der in unserer
schmierigen Absteige am Empfang saß, zu singen an, als er mein wenig
stilsicher imitiertes Band-Shirt sah. Und Dirk, der Bassist der Cockahoop Cockatoos, erzählte mir auf einer Fete begeistert davon, dass
Mike Mills - sein Gegenstück bei R.E.M. - so ein klasse Sänger sei.
Dann
kam "Losing My Religion". Ich habe fast 15 Jahre gebraucht, um zu
verstehen, dass dieses Lied nicht nur aus gutem Grund ein Riesenerfolg
wurde, sondern noch dazu einfach toll ist. Aber R.E.M., dieses leicht
zerrupfte Quartett mit dem heiseren Sänger, wurde zur Stadionband. Immer
wieder war zu lesen, dass man im fernen Athens den kommerziellen
Höhenflug selbst mit eher gemischten Gefühlen erlebte. Mir blieb
weiterhin "Green", jenes subjektive Meisterwerk, dazu endlich "Document"
von 1987. Bill Berry stieg aus, ein herber Verlust, den kein Studio-
oder Tourdrummer der Folgejahre wettmachen konnte. Immerhin: Der Trommler
wurde nicht ersetzt, Kompromisse waren ihre Sache nicht.
Als
alle zu "Shiny Happy People" tanzten (dessen Ironie natürlich niemand
außer mir verstanden hatte), blieb ich zurück, die Fäuste grimmig in die
Hosentaschen gestopft. Als ich die Herren Stipe, Mills und Buck auf der
Suche nach "New Adventures In Hi-Fi" begleitete, holte ich sie jedoch
hervor und reckte sie mit breitem Grinsen in Richtung des schockierten
Südkurven-Publikums. Irgendwann jedoch wurden Songs, Alben, letztlich
die Band nicht nur mir immer egaler. Ab und an nickte ich wohlwollend,
wenn ich mal auf eine neue Single stieß, meist jedoch gab es dazu keinen
Grund.
Radio höre ich längst nicht mehr, "Green" noch
immer regelmäßig. "Alle Dinge müssen enden, und wir wollten es richtig
tun, auf unsere Weise", lautete die offzielle Stellungnahme zum Split.
Konsequent bis zum Ende. Wie so oft merkt man erst, was man verloren
hat, wenn es nicht mehr da ist. Da fehlt ein Flüstern häufig mehr als
ein Schrei.