Mittwoch, 7. November 2012

Kino-Kritik: "Skyfall"

Seit einem halben Jahrhundert hetzt der Superspion und Frauenheld über die Leinwand, meist im korrekten Anzug und mit Schweiß auf der Stirn. 50 Jahre - Anlass genug für Fans und Feuilleton, seit Monaten in Erinnerungen zu schwelgen, jedes noch so ausgewrungene Wortspiel zu bemühen und zur Ikone zu erhöhen, was längst eine ist. James Bond ist ein Mythos. Mehr ist dazu nicht mehr zu schreiben.

Anders sieht es mit dem zweiten Grund zum Feiern aus: "Skyfall" - gerne als 23. Bond-Abenteuer bezeichnet, obwohl es das 24. ist, wenn man "Sag niemals nie" dazuzählt. Daniel Craig darf, trotz oder wegen deutlich härterer Gangart und kalter Augen, als etablierter sechster 007-Darsteller gelten und sich zum dritten Mal beweisen. Jede Ära bekommt die Doppelnull, die sie verdient: Das gar nicht mehr so neue Jahrtausend kann einen Bond vorweisen, der als archaischer Racheengel daherkommt und dabei fast wie ein Relikt wirkt. Bröselt das System, ist nur noch auf echte Menschen Verlass. Auf echte Helden gar. Das mag die Ausrichtung des aktuellen Agenten-Updates sein.

Über weite Strecken, vor allem während des furios, aber überraschend erdig inszenierten Auftakts, ist der Himmelssturz eine Reise durch bekannte Gefilde. Wahre Fans lieben das - da weiß man, was man hat. Der Showdown allerdings nimmt die Sache mit den Wurzeln, zu denen man zurückkehren kann, ungewohnt wörtlich, bietet mindestens eine augenzwinkernde Hommage an einst (der gnadenlos der Garaus gemacht wird) und beschreitet dennoch neue Wege.

Ähnliches gilt für die Handlung: Ein angekratzter, aber aufrechter 007 bekommt es mit einem durchgeknallten Ex-Kollegen zu tun. Raoul Silva (gespielt vom sinistren Javier Bardem) ist ein tuckiger Psychopath mit Andy-Warhol-Frisur. Zwar wurde er im Vergleich zum hausbackenen Trailer authentischer synchronisiert, aber auch das rettet den Antagonisten nicht davor, in der Ahnengalerie der Bond-Bösewichte eine vergleichsweise blasse Gestalt zu bleiben. Das gilt auch für die Bondine Sévérine (Bérénice Marlohe), deren Aufgaben darin bestehen, ein Abendkleid zu tragen, gerettet zu werden und zu duschen.

Auf der guten, aber von Politintrigen zerschlissenen Seite der Macht sieht es besser aus. Naomie Harris gibt einen cleveren und charismatischen Sidekick, der saucoole Ralph Fiennes den perfekten Gegenpart zur natürlich souveränen Judi Dench als "M". Zu allen drei Charakteren bleiben Details an dieser Stelle und aus gutem Grund unerwähnt. Ben Whishaw ist Sheldon Coo..., äh: der neue "Q". Sein Job ist es, noch einmal zu unterstreichen, dass Bond, James Bond ein analoger Haudrauf in einer digitalen Wunderwelt geworden ist.

Das ist auch das Manko von "Skyfall": Ein wenig unentschlossen geht es schon hin und her zwischen Altem und Neuem, zwischen dem Bewusstsein, das Genre vielleicht erfunden, zumindest aber definiert zu haben, und dem Bemühen, die Nachfolger einzuholen. Ein Hauch "Bourne" schwebt mitunter über den krawalligen Kämpfen, wenngleich eine durchaus handlungsfördernde Schießerei dann wieder angenehm retro in Szene gesetzt wurde.

Letztlich bleibt der neue Bond perfekte Kino-Unterhaltung mit teils aufregender Kameraarbeit, erwartet platten Dialogen und den üblichen Zutaten. Natürlich kehrt James Bond zurück, daran lässt nicht nur der klassische Abspann keinen Zweifel. Diesmal jedoch wissen wir, warum er das tut: Der Held, dem wir seit Jahrzehnten staunend zusehen, hat eine Arbeit zu erledigen. Und er ist zu zäh und starrköpfig, um aufzugeben. Wie erwähnt: Jede Zeit hat den Bond, den sie verdient.

Das ist mir satte acht von zehn enttarnten Geheimagenten wert.

Samstag, 6. Oktober 2012

Kino-Kritik: "Looper"

Hätte ich nicht gedacht: Ein Film, den ich so gar nicht auf der Liste hatte, entpuppt sich als einer der besten dieses Jahres - und vielleicht sogar als der cleverste. Das liegt in erster Linie am komplexen, doch immer durchdachten Drehbuch, aber natürlich auch an der relativ straffen Inszenierung und den teils beeindruckenden Darstellern.

Joseph Gordon-Levitt (mit Maske) und Bruce Willis (mit Falten) spielen den Killer Joe. Im Jahr 2044 arbeitet er als so genannter "Looper", dessen Aufgabe es ist, aus der Zukunft geschickte Opfer zu erschießen, damit diese 30 Jahre später quasi verschwinden. Seine Befehle bekommt der drogenabhängige Einzelgänger von Gangsterboss Abe (Jeff Daniels), der aus besagter Zukunft gekommen ist, um die Looper zu kontrollieren. Wird der Loop geschlossen, also die Karriere eines Auftragsmörders beendet, ist das Opfer er selbst - sprich: sein drei Jahrzehnte älteres Ich. Ab diesem Zeitpunkt wissen die Looper, dass ihnen noch genau 30 Jahre bleiben, ehe sie in die Vergangenheit geschickt und von sich selbst umgebracht werden. Joes Problem: Seine ältere Version lässt sich nicht einfach abknallen, sondern hat eine Mission.

Verwirrt? Keine Sorge, wer sich zwei Stunden auf diese verschachtelte Zeitreise-Geschichte einlässt und nicht nur Augen und Ohren, sondern auch ein wenig Hirnschmalz bemüht, hat keine Probleme, der Handlung zu folgen. Und wird zudem belohnt mit einer packenden Mischung aus Film noir, Dystopie und Schauspieler-Kino. Wichtigster Rat: Vermeidet Spoiler! Auch hier steht kein weiteres Wort zur Story, die mit überraschenden Wendungen nicht geizt.

Rian Johnson, der bislang unter anderem eine Folge von "Breaking Bad" inszeniert hat und bei "Looper" für Regie und Drehbuch verantwortlich zeichnet, gelingt es scheinbar mühelos, die einzelnen Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen und auf einen furiosen Showdown hinzuarbeiten. Gordon-Levitt schafft es, wegen (oder trotz?) aufwändiger Maskierung, Willis' charakteristische Mimik zu kopieren. Der alte Haudegen selbst nimmt sich auffallend zurück und überlässt den jüngeren Stars die Leinwand. Neben dem Hauptdarsteller ist das Emily Blunt, die sich mit Mut zu Schmutz und Schweiß erfolgreich gegen ihr Püppchen-Image stemmt.

"Looper" ist kein Actionfilm, er ist streng genommen auch keine richtige Science fiction. Aber er ist ein Klasse-Thriller, der seine Zuschauer in die Kinositze drückt und sogar notorische Popcorn-Fresser davon abhält, raschelnd in die Tüte zu greifen - oder zu atmen. Vor allem aber bleibt er hoffentlich kein Geheimtipp.

Dafür gibt's glänzende neun von zehn illegal verdienten Silberbarren.

Sonntag, 30. September 2012

Kino-Kritik: "Schutzengel"

Luna Schweiger hat doppeltes Pech. Ihr Vorname passt auf traurige Weise zu ihrer Physiognomie, und sie hat das überschaubare Schauspieltalent ihres Vaters geerbt. Der wiederum zerrt ja gerne mal seine Töchter vor die Kamera.

Was die Menschen vor der Leinwand angeht - da ist Til Schweiger deutlich wählerischer. Statt den Pressefuzzis sein neues Meisterwerk (so heißen etwas teurere deutschsprachige Filme grundsätzlich) "Schutzengel" vorab zu zeigen, jettete der Meister (...) lieber nach Afghanistan. "Grund dafür sind die schlechten Erfahrungen, die er in der Vergangenheit mit anderen Journalisten erfuhr", weiß die Wikipedia. Da fragt man sich die Frage, was passiert, wenn nicht nur die arroganten Schreiberlinge etwas zu kritisieren haben, sondern möglicherweise auch andernorts mürrisches Gemurmel laut wird - im Kinosaal gar. Droht dann ein Bundeswehreinsatz im eigenen Land? Denn unsere Mädels und Jungs an der Front sind auf Schweigers Seite, daran lässt das, was in den vergangenen Wochen einen klassischen Trailer für "Schutzengel" ersetzte, keinen Zweifel. Wie einst die Monroe und heute gern etablierte US-Konsensrocker bespaßte Schweiger die Truppen am Hindukusch. Die dankten es ihm mit wohlwollenden Äußerungen wie: "Es hat gut widergespiegelt, wie es wirklich hier unten auch ist." Vorab: Schweigers aktueller Film behandelt keineswegs "das Thema der Kriegsrückkehrer aus Afghanistan" (nochmal Wikipedia), sondern ist ein inhaltlich schlichter Thriller und spielt noch dazu in Berlin und Brighton (!).

Es geht um das Mädchen Nina (genuschelt vom Mädchen Luna), das in den ersten fünf Filmminuten miterlebt, wie Heiner Lauterbach (als Heiner Lauterbach, der als Waffenhändler bezeichnet wird) ihrem zaghaften Flirt mit einem Hotelangestellten durch ein, zwei Pistolenkugeln ein Ende macht. Kurz darauf sitzt die traumatisierte (so wird behauptet) Mordzeugin zunächst auf einem klischeehaften Polizeirevier - inklusive engagierter Staatsanwältin (Karoline Schuch) und saufendem Chef (Herbert Knaup) -, dann in einem Versteck, wo sie von zwei Cops (Bitte nicht "Bullen" - das hier ist ein Thriller von internationalem Format!) bewacht wird. Diese sind knallhart, aber herzensgut, daran lassen die Gesichtsausdrücke der unterforderten Hannah Herzsprung und des vermutlich erleichterten Axel Stein keinen Zweifel. Kaum kommt der dritte Beschützer (Til Schweiger - wurde auch Zeit) hinzu, sprengen auch schon die bösen Buben die Appartmenttür, und es darf einige Minuten lang geballert werden, wie John Woo und Quentin Tarantino es auch deutschen Filmemachern beigebracht haben.

Der Rest der Geschichte ist ebenso überraschungsarm wie schnell erzählt: Max - so der Name des heldenhaften Haudraufs mit dem starren Blick - bringt die potenzielle Kronzeugin durchs Sperrfeuer der sinistren Schergen von Waffenverkäufer Backer. Unterwegs treffen sie in einer Art Nummernrevue auf mehr oder minder bekannte Gesichter aus Film und (häufiger) Fernsehen, darunter Oliver Korittke, Ralph Herforth, Fahri Ögün Yardim und Antoine Monot jr., deren Gastrollen mit Bezeichnungen wie "falscher Polizist" oder "Polizist" versehen wurden. Unterstützt wird das "ungleiche Duo" (Rezensentensprech) von Max' Ex - der Staatsanwältin - sowie seinem besten Freund und Kriegskameraden Rudi (gespielt von Moritz Bleibtreu - der im Übrigen der einzige ist, der sich dieses Verb redlich verdient hat). Dem fehlen seit einem gemeinsamen Einsatz in Afghanistan (aha!) zwar Unterschenkel und Füße, dafür beweist er Standfestigkeit ('tschuldigung!), wenn es darum geht, in einer Feuerpause den allenfalls angedeuteten Charakter der Hauptfigur zu erläutern. Max, so erfahren wir gähnend, ist ein dufter Typ, hat seinem Kumpel sogar das Leben gerettet, nachdem er ihn zuvor in ein Himmelfahrtskommando geführt hatte. Während Rudi in der östlichen Provinz den Späthippie gibt und Kekse futtert, zelebriert Mäxchen seither bei jeder sich bietenden Gelegenheit seine Narben an Körper und Seele. Nämlich immer dann, wenn die Kamera läuft.

Es folgen öde Kämpfe, klassisch strukturierte Humoreinlagen, schlimme Trivialdialoge ("Ich seh' dich auf der anderen Seite") und einschussgroße Logiklöcher, ehe alles in einen nach zwei Dritteln schlicht abgehackten Showdown mündet und das glückliche Ende seltsam langatmig die Überlebenden vereint.

Ist nun wirklich alles schlecht am "Schutzengel"? Nein (und ich kann selbst kaum fassen, dass ich das schreibe). Wer eine etwas hausbackene Variante US-amerikanischer Krimiklischees erwartet, wird sicher nicht enttäuscht. Bleibtreu, Knaup und wohl auch Lauterbach wissen, was sie tun, und liefern solide Souveränität ab. Es kracht bisweilen ganz ordentlich, manche Pointe scheint fast zu sitzen, und unwesentlich spannender als "Derrick" ist der Film allemal. Auf der anderen Seite (da ist sie wieder) ist Schweiger ein stark limitierter Mime, steht sein Töchterchen ihm diesbezüglich kaum nach, wirkt die Inszenierung bisweilen unfreiwillig komisch, wo sie doch dramatisch sein will. Ein großes Ziel hat unser Zweigesichthase jedoch erreicht: Wer mitreden oder abrotzen will, muss eine Kinokarte kaufen. Hoffentlich beschwören wir dadurch keine Fortsetzung herauf.

Macht anderthalb von fünf kleinen Quentins fürs Ikea-Regal im Wohnzimmer.

Freitag, 28. September 2012

Herzensangelegenheiten

Wenn alte Freunde oder neue Bekannte von meiner Begeisterung für Jazz erfahren, müllen sie mich gerne mit Vorurteilen und Halbwissen zu. Die Palette reicht dabei von dem völlig unbelegten Vorwurf, hinter einem schwarzen Kaffee und in einem ebensolchen Rollkragenpullover in Straßencafés zu sitzen, über den unverschämten Hinweis auf meinen teils ergrauten Bart bis hin zur wüsten These, Jazz sei "sowas wie die Blues Brothers oder Jan Delay".

Ich neige nicht dazu, milde zu lächeln. Deshalb eröffne ich meist eine später lautstark geführte Debatte, aus der ich stets als moralischer und argumentativer Sieger hervorgehe. Jazz ist eben was für Intellektuelle.

Mit der mir eigenen Bescheidenheit glaube ich gar, beurteilen zu können, dass es den Jazz gar nicht gibt. Was im Plattenladen für gewöhnlich in der zweitkleinsten Abteilung zu finden ist, ist vielfältig und kaum zu definieren. Sicher lässt sich eine Brücke von Miles Davis zu Galliano schlagen, aber sie ist ein wenig wackelig und führt in nebliger Höhe über belebte Straßen und verzweigte Irrwege. Abgekürzt: "Mein" Jazz - das ist Coltrane und Mahavishnu Orchestra, Ginger Baker und John Scofield. Aber vor allem und als erstes und immer wieder: Jonas Hellborg. Der ist Schwede, spielt Bass und sieht auf dem Cover seines Albums "Axis" sehr eigenartig aus. Unter anderem deshalb hängt es an der Wand meines Büros.

Der andere Grund ist: Die Platte ist gut. Sie eignet sich für Jazz-Novizen, zum Einstieg, zum behutsamen Hinübergleiten in die fremde Welt, die selten was zu tun hat mit Pop und Kommerz (und fast nie was mit schwarzen Rollkragenpullovern). Dafür mit Funk und Soul und Improvisation ohne Übertreibung. Alt-Jazzer (sprich: Jatzer) mögen sie trotzdem - ich hab's selbst erlebt.

Der zweite, sicher gleichfalls zögernde Schritt erfolgt auf Hellborgs Beste: "The Silent Life". Ein akustisches Meisterwerk (und ich benutze dieses Wort etwa so leichtfertig wie "Freund" oder "Hass", also überhaupt nicht leichtfertig) ist das, reduziert, ganz nah dran und atmosphärisch mit der Betonung auf den ersten beiden Silben. Groß.

Allein diesem Adjektiv merkt man meine Begeisterung an, die Begeisterung eines passionierten Rock-Hörers, der nicht nur Rock hört. Grauer Bart hin, schwarzer Kaffee her - ich mag Jazz ohne Klischees. Und quatscht in diesem Zusammenhang bitte nie wieder was von Jan Delay.

Jonas Hellborgs offizielle Webseite

Mittwoch, 26. September 2012

Herzensangelegenheiten

"Fool" sprach mir immer aus der Seele. Wer hat sich nicht schon wie ein Narr gefühlt? Henry Rollins auf jeden Fall, dabei ist er doch eigentlich ein Held, denn er gibt es zu.

Dieser brüllende, volltätowierte Wutklotz, in der weniger muskelbepackten Jungspundvariante am Mikro bei Black Flag zu finden, ist längst ein etablierter Künstler. Und pfeift drauf, dass das möglicherweise nicht jedem gefällt. Überhaupt: Dem nun auch schon 51-Jährigen fehlt vermutlich die Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, was andere von ihm halten. Er ist das Arbeitstier, als das er sich präsentiert: Schreiben, singen, erzählen, pumpen, schauspielern, schreiben...

Ab und an lege er mal eine Jazz-Platte auf, gab er einst zu Protokoll. (Eine Vorliebe, die man der Musik der Rollins Band übrigens durchaus anhört.) Viel mehr an Privatleben oder gar Freizeit gönne er sich nicht. Ich vermute: Auch zu John Coltranes "Up 'gainst The Wall" lassen sich Gewichte stemmen. Und probiere es demnächst mal aus.

Rollins' größte Leistung ist sicher nicht die fein nuancierte Darstellung eines Survivaltrainers in "Wrong Turn 2: Dead End". Vermutlich sind es nicht mal die Black-Flag-Klassiker oder seine Solo-Alben "The End Of Silence" und "Weight", obwohl das alles selbstverständlich in jede gut sortierte Tonträgersammlung gehört. Am meisten beeindruckt hat mich "Eisenheinrich" (wie ihn das gewohnt stilsichere Visions gern mal nannte) in der Sendung "Durch die Nacht mit Shirin Neshat und Henry Rollins". Da zeigte sich der massige Musiker im nächtlichen New York an der Seite der iranischen Künstlerin von seiner eloquenten, ausgesucht höflichen und erstaunlich verletzlichen Seite.

Ein Narr, wer davon überrascht war.

Donnerstag, 20. September 2012

Lieber gut geklaut...

The room was dark, it looked like someone had to get out fast. A window open by the fire escape. "How long have you been following this guy?", the bell boy asked. "Not long enough, 'cause we got here too late."

She said: "I'm here on a shore leave." Though we were miles at sea. I pointed out this detail and forced her to agree, saying: "You must be the mermaid, who took King Neptune for a ride." And she smiled at me so sweetly, that my anger straightway died.

"Hello, darkness, my old friend, I've come to talk with you again." I check my look in the mirror. Wanna change my clothes, my hair, my face. "Man, I ain't getting nowhere. I'm just livin' in a dump like this. There's something happening somewhere. Baby, I just know there is. I can't help about the shape I'm in. I can't sing, I ain't pretty and my legs are thin. But don't ask me what I think of you. I might not give the answer that you want me to."

I've seen a rich man beg. I've seen a good man sin. I've seen a tough man cry. I've seen a loser win and a sad man grin. I heard an honest man lie. What good are these thoughts that I'm thinking? It must be better not to be thinking at all.

"There must be some way out of here", said the joker to the thief. "There's too much confusion, I can't get no relief. I've been waiting for something to happen for a week or a month or a year. With the blood in the ink of the headlines and the sound of the crowd in my ear." "But nobody never gonna tell you the way. You gotta figure it out, boys, and suffer the rain and the fools in the night and the heat of the day. When all you ever really wanted was someone to understand."

"So, so you think you can tell Heaven from Hell, blue skies from pain? Don't you think I know there's so many others, who would beg, steal, lie, fight, kill and die?" "I sneak around the corner with a blueprint of my lover. With a blueprint of my life I would better run for cover. Can we pretend that airplanes in the night sky are like shooting stars?"

"You miss the beat, you lose the rhythm. And nothing falls into place. You've been through the fires of hell. And I know you've got the ashes to prove it. You better lose yourself in the music, the moment, you own it, you better never let it go. You only get one shot, do not miss your chance to blow. This opportunity comes once in a lifetime." And as I watched him on the stage my hands were clenched in fists of rage.

In the howlin' wind comes a stingin' rain. See it drivin' nails into the souls on the tree of pain. From the firefly a red orange glow. See the face of fear running scared in the valley below.

Dienstag, 18. September 2012

Herzensangelegenheiten

Ich warte ja immer noch darauf, dass mich jemand beiseite nimmt und mir das alles erklärt. Zum Beispiel, weshalb auf einmal alle auf diese Band The xx abfahren. (Für Uneingeweihte: Das ist kein Redigierfehler in Form eines nicht nachrecherchierten Bandnamens, an dessen Stelle ein Platzhalter seiner Berufung nachkommt - die heißen wirklich so.)

Mir ist schon bewusst, dass es schlimmere Musik gibt. Aber die ist ein weiches Ziel. Oder wie Klaus Walter mir einst ins Diktiergerät raunte (auf die Frage, welche Musik er nicht möge): "Ich könnte jetzt Phil Collins oder irgendwelche Popsachen nennen, aber das wäre zu einfach." Also: The xx sind nicht Justin Bieber, darauf können wir uns sicher einigen. Ich verstehe trotzdem nicht, was an dieser Combo so großartig sein soll. Oder warum sie mitunter gar mit Joy Division verglichen wird.

Seit sie Titelthema diverser Fachzeitschriften ist und mir von allen Seiten erzählt wird, dies sei die beste neue Band seit langem, habe ich angestrengt versucht, sie gut zu finden. Ich habe mir wieder und wieder die vermeintlichen Hits angehört, die bei mir einfach nichts treffen - nicht Herz, nicht Hirn. Ich habe Interviews mit den Bandmitgliedern gelesen und zwar auf Anhieb nichts gefunden, was mir unsympathisch erschien (zumindest nicht in den Antworten), aber eben auch nichts, was mich aufhorchen ließ oder gar davon abgehalten hätte, ernsthaft über ein Nickerchen nachzudenken. Und ich schlafe praktisch nie.

Das scheint mir tatsächlich das Problem zu sein, das ich mit diesen schwarzgekleideten Londonern (gegen beides ist übrigens nichts einzuwenden) habe: Ihre Musik ist stinklangweilig. Oder anders: Möglicherweise bin ich tatsächlich zu dämlich, um das ausgeklügelte Konzept zu verstehen, die raffinierten Melodien und sorgfältigen Arrangements zu erkennen, die einsame Klasse dieses Trios/ehemaligen Quartetts zu würdigen.

Ich befürchte nur - und das lässt sich ja nachprüfen -, dass in spätestens zwei Jahren kein Hahn mehr nach The xx kräht. Dass sie den Weg alles Unwichtigen (also unter anderem der Strokes und all der britischen Hypes der 90er) gehen. Dass schon bald eine andere nichtssagende Formation traurig vom Magazincover blickt. Vielleicht nimmt mich ja dann mal jemand zur Seite und erklärt mir das alles.

Freitag, 14. September 2012

Tagein, tagaus

New Order: Blue Monday Irgendwie habe ich New Order immer übel genommen, dass sie nicht Joy Division sind. Zu sehr unterscheidet sich ihr tanzbarer Pop von der drängenden Düsternis im Kopf des völlig zu Unrecht schon lange toten Ian Curtis. Man muss schon sehr genau hinhören, um die Gemeinsamkeiten zu entdecken. Und man muss fair sein. Wer will das schon? Eine der Gemeinsamkeiten ist der Bass von Peter Hook. Der ist vor fünf Jahren ausgestiegen. Also ganz unfair: Ihr Bizarre-Auftritt 1993 war grausam langweilig. Die Woche fängt ja gut an. Ach ja: Ich liebe Blue Monday. Und sämtliche anderen New-Order-Hits.

Lynyrd Skynyrd: Tuesday's Gone Im Ox schrieb mal einer über seine Vorliebe für Southern Rock. Im Ox. Nicht in der Spex. Das macht es mir leichter, zuzugeben, dass ich diese Vorliebe teile. Ich mag es, wenn zwei bis drei Gitarren von Freiheit singen. Das übertönt so schön den stumpfen Patriotismus dahinter. Auf der Autobahn kann ich textsicher all die Klassiker mitgröhlen, die von stumpfer Freiheit und patriotischen Gitarren handeln. Deshalb mache ich das auch. Ist der Dienstag gegangen, gebe ich gerne zu: Das ist nicht ihre beste Nummer.

Lisa Loeb: Waiting For Wednesday Ich habe Lisa Loeb leider niemals live gesehen. Dabei habe ich nach "Tails" und dem zugehörigen Artikel im Musikexpress kurzzeitig überlegt, ihr einen Heiratsantrag zu mailen. Sie macht Musik, die in einer gerechten Welt in Buchläden laufen würde. Ich mag Buchläden, und ich mag Musik. Schade, dass die von Frau Loeb nach ihrem Debütalbum immer ein bisschen egal war. Das allerdings gehört in jeden guten Haushalt.

Morphine: Thursday Mark Sandman war ein Genie. Diese Behauptung kann ich anhand zweier Fakten belegen: Erstens gab und gibt es keine zweite Band außer Morphine, die so perfekt auf der Linie zwischen Minimalismus und Barjazz balanciert. Und zweitens hat es nach ihrem Sänger und Bassisten niemand mehr geschafft, sich Tom Waits anzunähern, was die Beschreibung schräger Film-noir-Dramen angeht. Im regennassen Asphalt der Hinterhöfe spiegelt sich der Vollmond. Und dazu zieht einer die vier Saiten, quält ein anderer sein Saxophon, klopft ein dritter auf seine Drums. Gänsehautmusik.

The Cure: Friday I'm In Love Schön für Robert Smith. Vermutlich meint er die Liebe zum chartstauglichen Pop. Schwarze Explosionsfrisur vor pinkfarbenem Hintergrund. Soll fröhlich klingen. Tut es auch. Manchmal: leider.

Dead Kennedys: Saturday Night Holocaust Ist eigentlich kein Punk und genau deshalb eben doch. Man hört förmlich den Schweiß auf Jello Biafras Mikro spritzen, sieht vor dem geistigen Auge, wie sich seine Mitstreiter einen verdrehten Wust aus allem abringen, was den Klischees "ihrer" (?) Musik entgegensteht. Kantig und kratzbürstig, eloquent und einzigartig, virtuos und verwegen. Die Dead Kennedys halt.

U2: Sunday Bloody Sunday "This song is not a rebel song!" Sollen ruhig alle mit leicht verächtlichem Grinsen auf die frühen Jahre blicken, soll Bono meinetwegen seine Stubenfliegen-Sonnenbrille auf den Benefizempfängen dieser Welt spazieren tragen - das hier sind U2, wie ich sie kennen und lieben gelernt habe. Was vielen heute als Pathos gilt, nenne ich Hingabe. Und irgendjemand musste doch die Welt retten. Seinerzeit haben das eben gerne mal die Iren übernommen (siehe Live Aid). Nichts gegen "The Fly", nicht mal was gegen "One". Doch gegen die heißblütigen, unschuldigen, aufregenden Hymnen der Anfangszeit wirken diese wohljustierten Zeitgeist-Zugeständnisse einfach zu glattgebügelt. Aber das soll ja wohl so sein.

Mittwoch, 12. September 2012

Herzensangelegenheiten

Manchmal frage ich mich, was die beiden heute wohl machen. Selbstvergessen standen sie am Piccadilly Circus und spielten eine Art rudimentären Blues, für den später Jon Spencer und noch später die White Stripes berühmt werden sollten.

Der Gitarrist bearbeitete eine abgeschrammelte E-Klampfe voller Bandsticker, hielt sie dabei im Arm wie seine Freundin, um sie im nächsten Moment fast auf den Boden fallen zu lassen. Mit ekstatischen Schrittfolgen stakste er vor der stetig wachsenden Gruppe von Zuhörern auf und ab, die aus erschöpften Touristen und neugierigen Londonern bestand. Unter ihnen waren zwei kurze Hessen, seit Tagen fast pleite, völlig übernächtigt und verschwitzt.

Unser "Youth Hostel" hatte sich als verschimmelte Absteige entpuppt, die bei hochsommerlichen Temperaturen nur kochend heißes Wasser bot, womit sich zumindest die Kakerlaken und Spinnen im Bad vertreiben ließen. Unser Geld hatten wir bereits an den ersten Tagen für T-Shirts und Platten ausgegeben. Also trieben wir uns tagsüber in der Stadt herum und saßen nachts in Pubs oder Live-Clubs, die ähnlich heimelig waren wie unsere Unterkunft. Oder am Piccadilly Circus.

Während der Mann an der Gitarre also seine so virtuosen wie zerschredderten Licks aus dem Instrument zerrte, kämpfte der Trommler gegen ein Minimalset, das schon bessere Tage gesehen hatte. Hi-Hat, Bassdrum und Snare - mehr brauchte es für ihn nicht, um erstaunlich abwechslungsreiche Rhythmen zu basteln. Zwei hagere, bärtige Gestalten zauberten im Schein der bunten Werbelichter ein breites Grinsen auf die Gesichter ihrer Zuhörer. Klar: Später ließen sie den obligatorischen Schlapphut rumgehen, der sich mit Klimpergeld füllte. Doch zuvor spielte das Duo nur für sich, fast wie in Trance. Es ging nicht darum, entdeckt zu werden, Fans zu gewinnen, nicht mal darum, möglichst viel Geld zu verdienen. Es ging um Musik.

Ab und zu, wenn ich Straßenmusikern zuhöre oder - seltener - was Bluesiges auflege, denke ich noch an jene Nacht in London. Ist 'ne Weile her, die beiden kurzen Hessen sind groß geworden, machen Fotos und schreiben Texte. Und die beiden Musiker sitzen heute bestimmt in einem langweiligen Büro und haben langweilige Bürojobs. Irgendwie tröstlich.

Montag, 20. August 2012

Herzensangelegenheiten

Verurteilte Straftäter und reaktionäre Rednecks, notorische Junkies und arrogante Idioten - eine illustre Truppe hat sich da versammelt. Wenn diese Schwachköpfe wenigstens die Klappe halten würden. Stattdessen brabbeln sie das Ergebnis ihrer verschwurbelten und allenfalls von rudimentärer Bildung geprägten Gedanken in jedes erreichbare Mikro. Als hätten sie nichts Besseres zu tun. Sollen sie sich doch lieber darum kümmern, ihre häufig genug derangierten Lebensentwürfe auf die Kette zu kriegen oder wenigstens ihren Job ansprechend zu erledigen. Was wollen die überhaupt hier? Wer hat sie eingeladen? Leider muss ich zugeben: Ich war's. Sogar freiwillig.

Seither wohnen sie in meinen CD-Regalen. Sind also irgendwie Teil meines Daseins. Die Sache ist nur: Streng genommen könnte es mich einen Dreck kümmern, ob ein Musiker einer der eingangs genannten Minderheiten angehört. Leider tut es das nicht immer.

Wenn Al Jourgensen nicht von der Nadel loskommen will, weil er der Ansicht ist, kein Problem zu haben, ist das seine Entscheidung. Ich kenne den Mann nicht persönlich, und es fällt mir leicht, seinen Heroinkonsum nicht zu finanzieren, weil seine Platten zunehmend schlechter werden. Wenn Dave Mustaine gegen Obama wettert und sich dabei in wüsten Verschwörungstheorien ergeht, ärgert mich das kurzzeitig. Dann jedoch fällt mir ein, dass den cholerischen Querkopf seit Jahren niemand mehr ernst nimmt. Nicht mal für seine Musik. Soll er also quatschen; mein letztes Megadeth-Album habe ich Ende der 90er gekauft. Wenn Brian Fallon sich als Kreationist outet... dann stört mich das seltsamerweise sehr.

Weshalb kann ich damit umgehen, dass nicht jeder Musiker ein intellektueller Gutmensch ist, werde aber ungehalten, wenn der Sänger von The Gaslight Anthem die Evolution verleugnet? Liegt es daran, dass er in den vergangenen Jahren einige Lieder geschrieben hat, die mir im Gegensatz zu "Jesus Built My Hotrod" oder "Symphony Of Destruction" nicht nur eine gute Zeit bescheren, sondern wirklich etwas bedeuten? Oder daran, dass es mir in diesem Fall mehr als ohnehin auch um die Texte geht? Keine Ahnung.

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass (fast) jeder eine zweite Chance verdient hat. Wenn Jourgensen demnächst das Zeitliche segnet, wird er mir als das einstige Genie hinter Ministry in Erinnerung bleiben. Wenn Megadave nächstes Jahr einmal mehr behauptet, missverstanden worden zu sein oder wieder zu tief ins Glas geguckt zu haben, werde ich das mit einem schiefen Grinsen und zuckenden Schultern quittieren. Aber irgendetwas sagt mir, dass das Leben des Brian in eine Richtung gehen wird, die ihn wegbringt von Stromgitarre und Rock'n'Roll, also letztlich von seinen Fans. Eine Suchtkrankheit lässt sich bekämpfen, eine politische Einstellung kann sich ändern. Aber Religion (und darauf basiert Fallons eigenartige Weltsicht) ist etwas Fundamentales und sagt viel über ihre Anhänger aus. Sicher einer der Gründe, warum ich damit nichts am Hut habe.

"Now I am no devil but I've got things on my mind. And they're gonna come out and they're gonna come up time to time." So ist das wohl.

Brian Fallon ist Kreationist

The Gaslight Anthem: Film Noir

Samstag, 28. Juli 2012

Kino-Kritik: "The Dark Knight Rises"

In mir hat Christopher Nolan nicht gerade seinen größten Fan. Daran ändert auch nicht, dass das grande finale seiner Batman-Trilogie sein bester Film ist. Nolan will von allem zu viel: Groß sollen seine Werke sein, mächtig, mit atemberaubenden Schauwerten, dazu aber auch einzigartig, unverwechselbar und anspruchsvoll. Das Ergebnis ist nicht selten überambitioniert und selbstverliebt. Wenn so jemand antritt, einen der größten Mythen der Popkultur neu zu erzählen, erwartet man, dass er scheitert. Grandios, das ist klar.

Als "Batman Begins" vor sieben Jahren in die Kinos kommt, entpuppt sich das befürchtete Desaster als spannende Interpretation der alten Geschichte vom einsamen Rächer. Handwerklichen Defiziten zum Trotz erzählt Nolan eine düstere Schauermär von Schicksal und Verzweiflung, vom Licht in der Dunkelheit (in dem diesmal die Silhouette einer Fledermaus zu sehen ist). Dabei beweist der Regisseur zudem ein Händchen bei der Wahl seiner Darsteller. Christian Bale verwechselt nuancierte Schauspielkunst mit einem quälenden Kraftakt, er flüstert und schreit, zittert und schwitzt, ist sinistrer method actor und keifender Egomane. Und somit der perfekte Bruce Wayne in seinen Inkarnationen als gebeutelter Millardär und nächtlicher Gangsterschreck. Die drei alten Männer hinter ihm erden als weise Berater des Helden das Geschehen auf der Leinwand, lassen Nolans Bemühen um einen neuen "Realismus" erkennen. Auf der Gegenseite stehen Liam Neeson in seiner Wohlfühlzone als überlegener Haudegen und der kinskieske Cillian Murphy als schizophrener Psychopath. Dazu findet der Regisseur das nötige Pathos, setzt auf ein Fünkchen Selbstironie, um sein Verständnis einer Comicverfilmung auf dem schmalen Grad zwischen Werktreue und Selbstverwirklichung zum sehenswerten Kinoabenteuer werden zu lassen.

Drei Jahre später scheint Nolans Sturheit die Oberhand gewonnen zu haben. Mit "The Dark Knight" versickert die furiose Vorgeschichte in Tristesse und Ödnis. Eine verschwurbelte Erzählweise, die die wenigen Actionszenen ausbremst, lässt die Fortsetzung der Fledermausmann-Legende auf dem Spannungsniveau einer durchschnittlichen "Derrick"-Folge hängen. Zudem sind Zweikämpfe und Verfolgungsjagden unübersichtlich inszeniert, ist alles viel zu langatmig und redselig. Kritiker und Publikum ergehen sich dennoch in Lobeshymnen - und erwähnen dabei als erstes und völlig zurecht das einzige Positive an diesem Rohrkrepierer: Heath Ledger. Einmal mehr zeigt Christopher Nolan, dass er in Schauspielern etwas sehen kann, was anderen verborgen bleibt. Die Verpflichtung des blondgelockten Sunnyboys für die Rolle von Batmans Erzfeind Joker zieht die zweite Story um den dunklen Ritter einige Meter aus dem Schlick. Der plötzliche Tod des Australiers und die anschließende Oscar-Ehrung machen den Chaos-Clown endgültig zur Popikone. Der entstellte, bleich geschminkte Massenmörder ist nicht nur ein adäquater Gegenspieler für die Figur des flatternden Waisenknaben, sondern lässt diesen verblassen. Der Joker ist präsent, vermittelt mit seiner Unberechenbarkeit echte Furcht und trägt "The Dark Knight" quasi im Alleingang. Großes Kino, allerdings als Kammerspiel inszeniert.

Die Zeit heilt nicht alle Wunden, sondern gibt nur die Gelegenheit, ausführlich darüber zu diskutieren. Und Nolan scheint sich zu Herzen genommen zu haben, was die Geeks rund um den Globus seit vier Jahren fordern: Batman braucht Emotionen, ein Superheldenfilm darf nicht als knochentrockener Krimi daherkommen. Die Action ist zwar immer noch weit entfernt vom Standard, aber deutlich übersichtlicher und mitreißender gefilmt. Die Story ist immer noch komplex und überfrachtet, aber längst nicht so zerrissen wie in Teil zwei. Die Dialoge sind immer noch geschwätzig und wiederholend, werden aber durch one liner und eine Prise Humor aufgelockert. Da darf der Filmemacher gern seinen Hang zum großen Drama, seinen Wunsch nach Verankerung in der Realität und seine ganz eigenen, mitunter verqueren Ideen ausleben. Erstmals tut das der Geschichte sogar gut: "The Dark Knight Rises" ist ein wuchtiger schwarzer Brocken, so weit von einem Hollywood-Blockbuster entfernt, wie man sich bewegen darf, wenn man einen Hollywood-Blockbuster inszenieren will.

Zwischen Hamlet und Heldenepos, Größenwahn und Genialität finden der Regisseur und sein Bruder, der Drehbuchautor, zum ersten und vorläufig letzten Mal einen Weg. Die 164 Minuten vergehen erstaunlich schnell. Es gibt Wendungen und Überraschungen, und die Schauspieler schaffen es, die erwarteten faustgroßen Logiklöcher vergessen zu machen. Bale spielt die Rolle seines Lebens als gehe es genau um das. Anne Hathaway ist eine charmante Selina Kyle (nicht: Catwoman!), beweist Wandlungsfähigkeit und Talent. Der wie immer großartige Gary Oldman und der souveräne Joseph Gordon-Levitt geben den letzten Bullen und den tapferen Pfadfinder. Tom Hardy müht sich redlich, allein durch Blicke aus dem bulligen Terroristen Bane einen cleveren Schurken zu machen. Er kämpft jedoch nicht nur mit der Maske und einer wenig beeindruckenden Körpergröße, sondern vor allem mit der Stimme des Bösewichts. Nolan mag inzwischen zuhören, wenn die Fans murren - auf den Hinweis, Banes Stimme erinnere in den ersten Trailern an die Lehrer der Peanuts (soll heißen: ist völlig unverständlich) reagierte er allerdings mit Trotz. Die pathetischen Reden des Muskelprotzes mit der Gasmaske wurden derart nach vorne gemischt, dass sie körperlos im Raum stehen. Das habt ihr nun davon, ihr Nerds! Einem Christopher Nolan macht niemand Vorschriften!

Ist ja schon gut: Diesmal hat's ja auch geklappt mit der Selbstverwirklichung. "The Dark Knight Rises" ist groß, mächtig, mit atemberaubenden Schauwerten, dazu einzigartig, unverwechselbar und anspruchsvoll. Der würdige Abschluss einer Filmtrilogie, die in der Mitte etwas durchhing. Oder anders: 2012 ist ein gutes Jahr für Comicverfilmungen - die "Avengers" haben einen zornigen Bruder bekommen.
 
Dafür gibt es acht von zehn matt schimmernden Batarangs ins Genick des Abschaums auf Gothams Straßen.

Dienstag, 10. Juli 2012

Herzensangelegenheiten

1992. Ganz schön was los hier. In Lichtenhagen wird die Demokratie beerdigt. Im Wembley-Stadion glücklicherweise nur der Classic Rock. Alles geht: Seit die Industrie den Jungen im karierten Hemd entdeckt hat, sucht sie nach einer Schublade. "Alternative" steht schließlich drauf, und drin ist, was gefällt. (Also: sich verkaufen lässt.)

Ein letztes Mal bäumt sich die Kreativität auf, flirten Gitarren mit Elektrorhythmen und Sprechgesang, wird deutsch gerappt und traurig gesungen, fallen drei Jahre nach der Revolution im Osten auch kulturelle Mauern. Das macht Spaß. Und wir denken uns nichts dabei.

Alte Helden kommen zu neuen Ehren, aus Träumern werden Stars. Im Plattenladen harren monatlich neue Schätze ihrer Entdeckung. (Es gibt Plattenläden.) Im Zeitschriftenladen buhlen bunte Gazetten um die Gunst der juvenilen Freigeister. (Es gibt Freigeister.) In kurzen Hosen und Wollmütze über die Bühne toben, im Bandshirt davor stehen oder raufklettern. Eddie Vedder schwimmt auf der Menge, Kurt Cobain hat Magenschmerzen, Anthony Kiedis trifft Supermodels, Zack de la Rocha den Nerv, Evan Dando hängt an der Wand im Mädchenzimmer, Phil Anselmo an der Hühnerbrust der Jungs.

Irgendwo in der Wüste hört jemand alte Sabbath-Platten und raucht Selbstgedrehtes, irgendwo in New York tanzt jemand um eine brennende Mülltonne. Irgendwo in Hessen sitzt einer und hört und sieht und staunt.

Unfassbare zwanzig Jahre ist das her, hat das letzte der genannten Musikmagazine neulich errechnet. Kurt, LayneDimebag und Adam sind tot. Karohemden und Kopfsocken sind allenfalls retro, Plattenläden selten, und was als alternativ galt, ist längst klassisch.

Manchmal kommen sie wieder, die Heroen der Vergangenheit, aber meist ist nur noch der Sänger dabei, und es klingt traurig, was trotzig sein will. Und wir denken uns nichts dabei.

Nix Neues an der Front, nicht in New York, nicht in der Wüste. Auf keinen Fall in Hessen. Nicht mehr viel los hier. 2012.

Montag, 2. Juli 2012

Kino-Kritik: “The Amazing Spider-Man”

“Hier kannte ich wirklich alles, jeden Freund, jeden Feind. Und als Mary Jane sich trennte, hat er bei mir geweint.” (Fettes Brot)

Verdammt, so ging es mir auch! Eine Comicfigur, vom großen Stan Lee zehn Jahre vor meiner Geburt erdacht, war der Held meiner Jugend. Peter Parker - Alliterationen sind Pflicht unter Superhelden - war ein schüchterner Nerd, bis der Biss einer radioaktiven Spinne ihm deren proportionale Fähigkeiten verlieh und… gar nichts für ihn besser wurde. Spider-Man hatte Probleme und Sorgen, trauerte um seinen Onkel, machte sich Vorwürfe für dessen Tod, war chronisch pleite, stets in die falsche Frau verliebt, hatte Ärger im Job und konnte trotz Maske und Kostüm nie dieser Misere entfliehen. Oft genug gab’s Prügel, brachten spektakuläre Kämpfe in und über den Häuserschluchten von New York dramatische Konsequenzen für das ohnehin komplizierte Leben des einsamen Helden mit sich. Tod und Verlust waren allgegenwärtig, Freunde wurden zu Feinden und umgekehrt, mehr als einmal drohte das tragische Dasein des Protagonisten zwischen Verlierer und Verbrecherjäger zu zerbröseln.

Aber - und das macht Lees Kreation zu (m)einem Helden - Spider-Man gab niemals auf. Klar, er konnte an Wänden klettern, meterhoch springen und Autos stemmen. Doch er war - anders als der große Konkurrent Superman - kein Übermensch, sondern ein Mensch. Einer mit Fehlern, jedoch auch mit Stärken. Und dazu gehörten nicht nur sein zynischer Humor, sondern vor allem Mut und Optimismus. Kein Wunder, dass ein zehnjähriger Comicfan das klasse fand (trotz Höhenangst und Spinnenphobie). Und kein Wunder, dass er auch mit Ende 30 im Kino sitzt, wenn sein Idol aus Kindertagen über die Leinwand krabbelt.

Obwohl: Ich hatte Vorbehalte. Erste Trailer wirkten, als sei der Film aufs “Twilight”-Publikum zugeschnitten. Außerdem schien es zu früh für ein Reboot (Sam Raimis Spider-Man-Trilogie begann vor nicht mal zehn Jahren), die silbernen Turnschuhe sahen albern aus. Und wer ist eigentlich Andrew Garfield?

Nachdem ich "The Amazing Spider-Man" (so der erfreulicherweise nicht eingedeutschte Titel) gesehen habe, weiß ich: Andrew Garfield ist Peter Parker. Selten hat mich ein Film derart positiv überrascht wie das Spinnenabenteuer von Regisseur Marc Webb (der heißt wirklich so). Das liegt in erster Linie an den Schauspielern, denn längst sind Marvel-Comicverfilmungen häufig nicht nur gute Superheldenfilme, sondern einfach gute Filme. Und dazu gehört ein Ensemble, das weiß, was es tut. Garfield gibt den linkischen Geek, dem sich das Ausmaß seiner neuen Kräfte nur langsam erschließt, so überzeugend, dass es schwerfällt, sich jemand anderen in dieser Rolle vorzustellen. Hollywoods neues Darling Emma Stone macht aus Peters vormals blassem love interest Gwen Stacy eine smarte Persönlichkeit. Dass Sally Field und Martin Sheen ihre Figuren souverän zum Leben erwecken, überrascht kaum. Eher schon Ex-Comedian Denis Leary als knallharter Großstadt-Cop und Rhys Ifans als schizophrener Dr. Connors-Jekyll.

Der Film nimmt sich ungewöhnlich viel Zeit, seine Geschichte zu erzählen. Das hat er gemein mit einem weiteren überraschend guten Reboot der jüngsten Kinogeschichte, nämlich "Planet der Affen". Es dauert eine ganze Weile, bis es kracht. Dass es das dann aber richtig tut, nämlich laut, bunt und mitreißend, darf man bei einer schweineteuren Hochglanzproduktion erwarten. Aber auch hier setzt die Neuauflage nochmal einen drauf - was Spezialeffekte angeht, sind “nicht mal zehn Jahre” eben doch eine lange Zeit.

Das Drehbuch ist vergleichsweise schlicht, dafür flutscht die Story und wird nicht durch unnötige Nebenhandlungen ausgebremst. Wo Raimi sich verzettelte, geht Webb seinen Weg - und es gibt glücklicherweise keine peinlichen Tanzszenen. Übernommen hat der Regisseur hingegen das Problem seines Vorgängers, eine Hauptfigur, deren Gesicht man in entscheidenden Szenen nicht sieht, Emotionen zeigen zu lassen. Soll heißen: Spider-Man zieht mal wieder nicht selten seine Maske ab, wenngleich auch diese Skript-Klippe eleganter umschifft wird als bisher.

Was noch? Stan Lee hat selbstverständlich den gewohnten Cameo-Auftritt, C. Thomas Howell einen langen Weg hinter sich (und ist ohnehin niemandem mehr ein Begriff). Es gibt überraschende Wendungen, und wer vor dem Abspann aufsteht, verpasst natürlich was.

Ich jedenfalls freue mich wie ein Zehnjähriger auf die bereits geplanten Fortsetzungen, auf Freunde, Feinde und Mary Jane.

Macht erstaunliche neun von zehn todesmutig zerquetschten Spinnen an der Wand meines Werkzeugschuppens für den besten Marvel-Film nach “X-Men: First Class” und “Avengers”.

Sonntag, 13. Mai 2012

Herzensangelegenheiten

Ich habe lange überlegt, ob es sich lohnt, etwas zur aktuellen Diskussion über das Urheberrecht zu schreiben. Aber dann dachte ich mir, möglicherweise sei bereits alles dazu geschrieben und gesagt worden.

Immerhin haben sich namhafte Experten zu Wort gemeldet: Popstar Sven Regener, dessen Hits uns tausendfach runtergeladen aus den Kinderzimmern der Republik entgegenplärren. Jan Delay, der nicht möchte, dass jemand anderes als großzügige Werbepartner oder Udo Lindenberg seine Lieder singt. Und sicher hatte und hat auch Heinz Rudolf Kunze ein oder zwei Meinungen dazu, und ich hab' sie nur mal wieder nicht gelesen, weil sie keiner gedruckt oder gebloggt hat oder weil gerade ein anderer Zahnarztpatient im Wartezimmer in der entsprechenden Ausgabe des "Stern" blätterte. Also schreibe ich lieber nichts zum Urheberrecht.

Wäre ja auch durchaus gefährlich. Am Ende stellt noch jemand meine politische Unabhängigkeit in Frage und behauptet, ich sei auf der Seite der "Piraten". Oder schlimmer noch: ich sei gegen die "Piraten". Nicht auszudenken. Ich könnte mich nirgendwo mehr sehen lassen. Daher äußere ich mich lieber nicht zum Urheberrecht.

Ist besser so. Sonst könnte es passieren, dass vielleicht irgendwer diesen Text illegal kopiert, ins Internet stellt oder als sein geistiges Eigentum ausgibt. Das wäre ärgerlich, denn das Netz vergisst bekanntlich nichts. Da wird aus einer aktuellen Diskussion in wenigen Mausklicks eine veraltete und aus den "Piraten" eine politische Randnotiz. Und dann behaupten wieder alle, ich schröb nur über früher. ("Schröb" ist lustig - Kolumnisten, Kabarettisten und ähnliches Gesindel kaschieren auf diese Weise mangelnde Grammatikkenntnisse.) Jedenfalls bleibt es dabei: An dieser Stelle verliere ich kein Wort über das Urheberrecht.

Wäre ja auch viel zu kompliziert. Ich müsste eventuell recherchieren, den Unterschied zwischen "Recht" und "Gesetz" herausfinden und erklären, peinlich darauf achten, keinen der in den vergangenen Wochen ermüdend diskutierten Blog-Einträge und Talkshow-Monologe zum Thema zu vergessen. Das wollte nun wirklich niemand lesen.

Das Allerlächerlichste, was ich tun könnte, sollte ich etwas über das Urheberrecht schreiben, wäre, auf meine eigenen Erfahrungen zu verweisen. Völlig uninteressant. Daher hier und jetzt keine vergeudete Zeile darüber, dass mir eine große Gesundheitseinrichtung mal ein Foto geklaut hat oder dass es kurz nach Krieg, Mauerfall und Bankenkrise in Metaller-Kreisen (die Musik, nicht die Gewerkschaft) durchaus üblich war, Tapes zu tauschen.

Kurz: Dies hier ist keine Kolumne zum Thema Urheberrecht. Sondern eine zum Thema Lieblingsbands. Meine beispielsweise hat gerade ein neues Lied veröffentlicht, das leider nur auf einem Soundtrack zu hören ist. Mal sehen, ob ich das ganze Album kaufe. Das überlege ich mir noch.

Das Urheberrecht

Nilz Bokelberg zum Thema

Donnerstag, 12. April 2012

Herzensangelegenheiten

"Ja, ja, ja", schrieb Skip Danko. Und: "Gern geschehen." Um ehrlich zu sein: Ich hatte mit etwas mehr gerechnet, zumindest darauf gehofft. Mehr Inhalt, gerne auch mehr Text, zumindest aber mehr Begeisterung darüber, dass ein Fan ihm auf facebook schreibt.

Zumal ich mich angenehm wenig stalkeresk gab: "Sorry", schrieb ich. Und: "Aber - Eternal Rest? Where did I go? Danke für die Musik!" Unerwähnt blieb unter anderem, dass wir uns bereits begegnet waren. Anfang der 90er muss das gewesen sein, ich verbrachte meinen Urlaub in Norddeutschland, im traurigen Aurich - jener Sehrkleinstadt also, in der die Band Eternal Rest beheimatet war. (Nur in Aurich oder vergleichbaren Städten wie Marburg haben Punkrocker die Berechtigung, ihre Band "Ewige Ruhe" zu nennen. Steht im großen Punk-Gesetzbuch "Dogma & Mad Dogs", das es leider gar nicht gibt.)

"No. 1" hieß ihr - Überraschung! - erstes Album, und es begeisterte mich mit einer Mischung aus dem Zynismus der Dead Kennedys und der Überdrehtheit von Jane's Addiction. Leider nur mich, unseren Bassisten Alex und über den Daumen gepeilt 23 weitere Käufer, die sich über die Republik verteilten und weder Alex noch mir namentlich bekannt waren. Natürlich bin ich nicht nach Aurich gepilgert, um Eternal Rest oder ihren Sänger Skip Danko zu sehen. Vielmehr war ich zufällig in der Gegend und dachte mir: "Kaufst du halt ein Paar Schuhe." Und Skip Danko war Schuhverkäufer. Punk as punk can. Die Treter habe ich längst nicht mehr, "No. 1" natürlich schon, außerdem sämtliche späteren Veröffentlichungen der einzigen einigermaßen (un-)bekannten Auricher Populärmusik-Kapelle.

Irgendwann war Eternal Rest Geschichte, Skip Danko in Amerika, und seine neue Band hieß Zwiebel Zwiebel Hurra. (Und so dürfen Punkrocker ihre Combo weder in Aurich noch in L.A. nennen.) Dabei wäre so viel mehr drin gewesen: Der Sage nach hat der Sänger während der Aufnahmen zum Debüt das Bewusstsein verloren, da er zu lange geschrien hatte, ohne die gute, weil salzhaltige Nordlichterluft einzuatmen. Ich glaube das gern, zumal der geübte Hörer sogar die Stelle entdeckt, an der das passiert. Das hat jedenfalls mit Herzblut zu tun, mit Leidenschaft und Leidensfähigkeit, das macht diese Platte zu etwas Besonderem in meiner pathologisch unübersichtlichen Sammlung. Viel besser ist Punkrock aus D-Land jenseits der besten Band der Welt und der Boxhamsters nie gewesen. Ehrlich jetzt.

"Ja, ja, ja", höre ich die Ungläubigen und Desinteressierten murmeln. Und ergänze trotzig: "Gern geschehen."

Sonntag, 12. Februar 2012

Herzensangelegenheiten

Die Welt trauert um Whitney Houston. Sowas schreibt man, wenn ein Promi das Zeitliche gesegnet hat. Ich bin ziemlich sicher, dass die Welt andere Sorgen hat oder zumindest haben sollte als einen weiteren toten Popstar. Trotzdem fällt mir auf, dass der Tod von Frau Houston mich etwas mehr betroffen gemacht hat als der von Frau Winehouse. Und ich frage mich, woran das wohl liegt. Auf jeden Fall mache ich ausnahmsweise mal mit: Hier ist sie, meine persönliche Whitney-Houston-Geschichte.

Zunächst mal habe ich jedoch die Pflicht, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass "das ja nicht meine Musik ist". Ganz wichtig. Fast noch wichtiger als die Standardeinleitung, wenn wir Hetero-Männer nach unserer Meinung zum Aussehen eines anderen Mannes gefragt werden. Dann sagen wir nämlich als erstes: "Ich kann das ja nicht so beurteilen." Also: Stromgitarre ist lieb, Pop ist blöd. Soweit meine offizielle Meinungsäußerung, nach Rücksprache mit meinem Anwalt und Vertretern der Gewerkschaft. Daher habe ich natürlich stets desinteressiert bis verächtlich auf jene Geschmacksverirrten geblickt, denen solche Dogmen offenbar egal oder - schlimmer noch - gar nicht bewusst sind.

Die Bezeichnung "Superstar" traf auf Whitney Houston bis etwa 1992 zu wie auf keinen jener Menschen, die diesen Ehrentitel heute tragen. Das spricht unter anderem für einen gewissen kommerziellen Erfolg und eine damit einhergehende Medienpräsenz. Oder anders: Ich kenne vermutlich jeden von Whitney Houstons Hits und könnte in geeigneter Stimmung die Refrains relativ textsicher mitsingen.

Mitte der 80er wurde Whitney groß, ich war damals noch klein und starrte vergleichsweise beeindruckt auf ein Plattencover, das ein junger Mann unterm Arm hielt, der im gleichen Bus stand wie ich. Und wir reden hier über Vinyl, über große, schwarze Scheiben - das nur, falls sich jemand fragt, wie eine CD oder ein Download wohl als Gepäck für die Busfahrt in der Achselhöhle drapiert werden. Eine junge Frau in einem Badeanzug war darauf zu sehen, sehr hübsch, viel zu stark geschminkt und mit nassem Haar. Heute weiß ich, dass Frau Houston zehn Jahre älter war als ich - seinerzeit dürfte sie also 22 gewesen sein. Ich fragte mich, welche Art Musik von freundlich lächelnden Badenixen gemacht wird.

Der junge Mann, hinter dessen Ellbogen die Frau mit den nassen Haaren hervorlächelte, trug eine schwarze Lederjacke und jede Menge Gel im Haar. Mit war bewusst, dass er nichts gemein hatte mit den beiden Kerlen, die sich die Augen geschminkt und auf ihre Jeanswesten ungezählte Bilder von Teufeln und Skeletten genäht hatten und die ganz hinten im Bus saßen. Er sah auch nicht aus wie die sehr aufgetakelten und mit schief sitzenden Mützen versehenen Mädels, die vorne beim Fahrer saßen. Diese hörten - so viel hatte ich aus der Bravo gelernt - Spandau Ballet oder Duran Duran. Ich hörte gern die Musik der 70er, weil meine sehr viel älteren Brüder das taten, und beides war in den 80ern und in meiner Kleinstadt unfassbar uncool. Ich mochte auch Depeche Mode, die ich gerade entdeckt hatte. Die hatten zwar so gar nichts zu tun mit "Smoke On The Water", aber auf dem Ghettoblaster oder per Walkman, wenn ich mit meinen Kumpels unterwegs war, spielte das keine Rolle.

Ich merkte mir den Namen Whitney Houston, wie ich mir einige Monate zuvor "Michael Jackson" gemerkt hatte (den ich allerdings deutsch aussprach, also wie Michael Schanze). Als ich das nächste Mal im Plattenladen stand, hörte ich mir jedenfalls zwei Alben an, einfach aus Neugier. Macht das heute noch jemand? Um es kurz zu machen: Ich mochte "Beat It" lieber.

Einige Jahre später, eine andere Kleinstadt, unser Held war etwas älter und vor allem in Sachen Musik deutlich besser informiert. Frau Houston hatte ihren größten Hit, in den Charts und im Kino, nämlich den Soundtrack zu ihrem Film "Bodyguard": "I Will Always Love You". In den nächsten Wochen werden wir dieses Lied hören müssen, bis wir kotzen. Aber ich habe es damals gesagt, und ich sage es heute noch: Damit hat sich Whitney Houston unsterblich gemacht. Mir - und inzwischen kenne ich mich mit Musik durchaus ein bisschen aus - ist keine andere Sängerin bekannt, die stimmlich zu derartigen Höchstleistungen in der Lage war oder ist. Rein technisch, aber auch emotional.

Ihr lest hier nichts über Bobby Brown, über Drogen oder misslungene Comeback-Versuche. Das war einfach nur meine persönliche Whitney-Houston-Geschichte. Aber eigentlich ist das ja nicht meine Musik.

Mittwoch, 11. Januar 2012

Herzensangelegenheiten

Sie haben sich mit einem Flüstern verabschiedet. R.E.M. war fast immer eine Band der leisen Töne.

In der beschaulichen hessischen Kleinstadt hörte Ende der 80er natürlich niemand College-Radio. Deshalb kannte auch nur ein elitärer Kreis eingeweihter Nerds jenen Song, der aus einer kleinen eine mittelgroße Band machte. Diesem gehörte ich nicht an: "The One I Love" habe ich erst kurz nach "Stand" entdeckt. Das wiederum lief nämlich im klassischen Radio meines Heimatbundeslandes und brachte mich dazu, für relativ viel Geld in einem so genannten HiFi-Geschäft das Album "Green" zu erwerben.

1988 war das, die Platte war orange statt grün, voller Lieblingslieder, böser Texte, poppiger Harmonien und - damals durchaus üblich für den dürren Michael Stipe und seine drei Freunde - ansprechend verzerrten Gitarren. "Gitarrenrock" nannte das daher seinerzeit eine Musikzeitschrift und fügte völlig zurecht hinzu, dass dieser Begriff Blödsinn sei.

"Green" begleitete mich einige Jahre lang, es folgten der erwähnte Prä-Hit und "It's The End Of The World As We Know It (And I Feel Fine)" mit seinem großartigen Titel, dem Text, der volle Konzentration auf beiden Seiten erfordert, und stilsicher untergebracht auf einem Greenpeace-Sampler. R.E.M. waren "meine" Band, ich hatte sie entdeckt, kaum jemand in meinem Freundeskreis mochte sie. Immerhin: Im London des Jahres 1990 fing der Typ, der in unserer schmierigen Absteige am Empfang saß, zu singen an, als er mein wenig stilsicher imitiertes Band-Shirt sah. Und Dirk, der Bassist der Cockahoop Cockatoos, erzählte mir auf einer Fete begeistert davon, dass Mike Mills - sein Gegenstück bei R.E.M. - so ein klasse Sänger sei.

Dann kam "Losing My Religion". Ich habe fast 15 Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass dieses Lied nicht nur aus gutem Grund ein Riesenerfolg wurde, sondern noch dazu einfach toll ist. Aber R.E.M., dieses leicht zerrupfte Quartett mit dem heiseren Sänger, wurde zur Stadionband. Immer wieder war zu lesen, dass man im fernen Athens den kommerziellen Höhenflug selbst mit eher gemischten Gefühlen erlebte. Mir blieb weiterhin "Green", jenes subjektive Meisterwerk, dazu endlich "Document" von 1987. Bill Berry stieg aus, ein herber Verlust, den kein Studio- oder Tourdrummer der Folgejahre wettmachen konnte. Immerhin: Der Trommler wurde nicht ersetzt, Kompromisse waren ihre Sache nicht.

Als alle zu "Shiny Happy People" tanzten (dessen Ironie natürlich niemand außer mir verstanden hatte), blieb ich zurück, die Fäuste grimmig in die Hosentaschen gestopft. Als ich die Herren Stipe, Mills und Buck auf der Suche nach "New Adventures In Hi-Fi" begleitete, holte ich sie jedoch hervor und reckte sie mit breitem Grinsen in Richtung des schockierten Südkurven-Publikums. Irgendwann jedoch wurden Songs, Alben, letztlich die Band nicht nur mir immer egaler. Ab und an nickte ich wohlwollend, wenn ich mal auf eine neue Single stieß, meist jedoch gab es dazu keinen Grund.

Radio höre ich längst nicht mehr, "Green" noch immer regelmäßig. "Alle Dinge müssen enden, und wir wollten es richtig tun, auf unsere Weise", lautete die offzielle Stellungnahme zum Split. Konsequent bis zum Ende. Wie so oft merkt man erst, was man verloren hat, wenn es nicht mehr da ist. Da fehlt ein Flüstern häufig mehr als ein Schrei.