Samstag, 12. Januar 2013

Herzensangelegenheiten

Vier Bewerber. Vier Absagen. Ein bisschen war es wie in dem sehr empfehlenswerten irischen Film "The Commitments": Wir saßen mit unseren Instrumenten herum und testeten mögliche neue Mitmusiker. Unsere Band befand sich mal wieder in der Auflösung, und irgendjemand hatte die blöde Idee, mit einem anderen Gitarristen ein neues Projekt zu starten. (Ich ahne, wer das war. Blöde Ideen und ich - das passt einfach gut.)

Zunächst hörten wir uns in unserem direkten Umfeld um. David war eine Jahrgangsstufe unter uns, hörte Punkrock und machte gern kokettierende Witze darüber, dass diese Vorliebe nicht recht mit seiner Hautfarbe korrespondiere. "Bad Brains", entgegnete ich dann. Und David grinste. Er grinste auch noch, nachdem Alex' legendär riesiger Bassverstärker in das Wohnzimmer seiner Eltern gewuchtet worden war, ich meine zerprügelte Schießbude aufgebaut hatte und wir uns an irgendwas von Minor Threat versuchten. Ein Nachbarskind überbrachte nach wenigen Minuten die Botschaft der Straßengemeinschaft, man möge doch bitte das Radio leiser drehen. Das verstanden wir als Lob oder eher nicht. Auf jeden Fall überbekam David zunächst die Befürchtung, die Bewohner der umliegenden Eigenheime könnten seine Eltern über unser so unangemeldetes wie lautstarkes Treffen unterrichten, und dann der Eindruck, selbst Musik zu machen sei eventuell doch nicht so sein Ding.

Dafür war das ganz genau das Ding von Joachim, der die gleiche Jahrgangsstufe wie David besuchte, sich erstaunlicherweise aber in allem von diesem unterschied. Jo hatte lange Haare, die er hinten zusammengebunden trug, war sehr blass und noch dünner. Er sah aus wie jemand, der Jugendfreizeiten begleitet. Das Problem: Genau so jemand war er auch. Anders als sein Bruder Martin, der bei den Cockahoop Cockatoos spielte, hatte er mit Rock'n'Roll derart wenig im Sinn, dass ich mich dabei ertappte, ihm lautmalerisch zu erklären, was ein Gitarrenriff ist. Alex war nicht dabei, und wir saßen im Proberaum einer befreundeten Metalband. Deren Drummer war geschätzt einen halben Meter kleiner als ich und wusste nichts davon, dass ich sein absurd großes Set benutzte. Jo und ich absolvierten also die erste Stunde von "Markus' kleinem Grundkurs für angehende Bühnensäue". Danach stellte ich wenig erstaunt fest, dass sich eine klassische Gitarrenausbildung zwar mit Ferienspiellagerfeuerromantik vertragen mag, ich mit beidem aber nichts am Hut habe.

Bewerber Nummer drei und vier besuchten uns im Proberaum eines örtlichen Jugendzentrums und waren mutig und/oder verzweifelt genug, auf unsere Kleinanzeige reagiert zu haben. Till war seinerzeit bereits ein recht erfahrener Musiker und hatte mit dem heutigen Edguy-Trommler Felix in einer Band mit dem schönen Namen Merciless Gnom gespielt. Alex und ich waren keine recht erfahrenen Musiker, und niemand, der in unserer peinlich benannten Combo gezockt hatte, lief auch nur ansatzweise Gefahr, jemals auf einer großen Bühne zu stehen. Wir spielten "Smells Like Teen Spirit", aber es roch nach Angstschweiß und Verzweiflung, und anschließend stöpselte Till wortlos seine Gitarre aus und nickte zum Abschied.

Mein persönlicher Favorit war Kandidat vier. Allerdings eher aus soziologischem Interesse. Er sah aus, als sei der verschrammte Gitarrenkoffer, den er keuchend reinschleppte, gleichzeitig seine Wohnung. Diese enthielt eine schwarze, zerkratzte Klampfe und eine unetikettierte Flasche mit einer braunen Flüssigkeit, die beim Öffnen zischte. Nachdem unser neuer Freund sie halb geleert hatte, drehte er den Verstärker auf und nuschelte: "Kennt ihr Cortez The Killer?" Kannten wir - Alex nur dem Namen nach -, aber ich bin sicher, Neil Young hätte uns mit finsterem Blick in die ewigen Jagdgründe geschickt, wenn er unsere Version gehört hätte. Sie dauerte doppelt so lang wie das Original (das siebeneinhalb Minuten lang ist). Das lag zum einen daran, dass der Koffermann zwischendurch immer mal wieder einen Schluck nahm. Zum anderen hörte Alex ab und an auf zu spielen und sah mich vielsagend an. "Cortez The Killer" ist etwa so alt wie wir, aber unser potenzieller Leadgitarrist war mit Sicherheit schon volljährig gewesen, als es herauskam. Nun jedoch war er nur noch voll. Wir legten Sticks und Bass zur Seite, schoben ihn mitsamt seiner Habe durch die Tür und logen, er höre sicher bald von uns.

Vier Bewerber. Vier Absagen. Keine neue Band. Und seitdem nie wieder. Mal schauen, ob das so bleibt.