1992. Ganz schön was los hier. In Lichtenhagen wird
die Demokratie beerdigt. Im Wembley-Stadion glücklicherweise nur der
Classic Rock. Alles geht: Seit die Industrie den Jungen im karierten
Hemd entdeckt hat, sucht sie nach einer Schublade. "Alternative" steht
schließlich drauf, und drin ist, was gefällt. (Also: sich verkaufen
lässt.)
Ein letztes Mal bäumt sich die Kreativität auf,
flirten Gitarren mit Elektrorhythmen und Sprechgesang, wird deutsch
gerappt und traurig gesungen, fallen drei Jahre nach der Revolution im
Osten auch kulturelle Mauern. Das macht Spaß. Und wir denken uns nichts
dabei.
Alte Helden kommen zu neuen Ehren, aus Träumern
werden Stars. Im Plattenladen harren monatlich neue Schätze ihrer
Entdeckung. (Es gibt Plattenläden.) Im Zeitschriftenladen buhlen bunte
Gazetten um die Gunst der juvenilen Freigeister. (Es gibt Freigeister.)
In kurzen Hosen und Wollmütze über die Bühne toben, im Bandshirt davor
stehen oder raufklettern. Eddie Vedder schwimmt auf der Menge, Kurt Cobain hat Magenschmerzen, Anthony Kiedis trifft Supermodels, Zack de la Rocha den Nerv, Evan Dando hängt an der Wand im Mädchenzimmer, Phil Anselmo an der Hühnerbrust der Jungs.
Irgendwo in der
Wüste hört jemand alte Sabbath-Platten und raucht Selbstgedrehtes,
irgendwo in New York tanzt jemand um eine brennende Mülltonne. Irgendwo
in Hessen sitzt einer und hört und sieht und staunt.
Unfassbare
zwanzig Jahre ist das her, hat das letzte der genannten Musikmagazine
neulich errechnet. Kurt, Layne, Dimebag und Adam sind tot. Karohemden
und Kopfsocken sind allenfalls retro, Plattenläden selten, und was als
alternativ galt, ist längst klassisch.
Manchmal kommen sie
wieder, die Heroen der Vergangenheit, aber meist ist nur noch der
Sänger dabei, und es klingt traurig, was trotzig sein will. Und wir
denken uns nichts dabei.
Nix Neues an der Front, nicht in New York, nicht in der Wüste. Auf keinen Fall in Hessen. Nicht mehr viel los hier. 2012.